Ürner Asichtä: Farbige Westen bevorzugt

Maria Egli, Stellenleiterin des Hilfswerks der Kirchen Uri, äussert sich in ihrer Kolumne zu weissen und befleckten Westen im wörtlichen und übertragenen Sinn.

Maria Egli
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Maria Egli.

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«Jetzt im Angebot: Weisse Westen im 10er-Pack»: Den Satz erblickte ich kürzlich bei einem Rundgang durch Altdorf, wie er etwas verschämt in einem Hinterhof und in schwarzer (!) Farbe an einer Hausmauer prangte. «Nanu, eigentlich sind weisse Westen doch eher Mangelware, warum denn gleich im Multipack», ging es mir durch den Kopf.

So schnell eine weisse Bluse – man denke an ein Spaghettiessen – ein paar Tupfer bekommt, so schnell geht’s doch auch im übertragenen Sinn. Oder würden Sie behaupten, Ihre Weste sei immer blütenweiss? Ich meine, irgendwie haben wir doch alle ab und zu einen Fleck zu ertragen, und ist es ein blinder, wirft er nur umso grössere Schatten. Das heisst auch: je rarer das Gut, desto teurer. Vielleicht, so überlegte ich weiter, sind es ja gar keine echten weissen Westen, die da an Mann oder Frau gebracht werden wollen, sondern bloss weiss gewaschene. Allerdings ist auch das Weisswaschen von Westen keine billige Angelegenheit. Im Allgemeinen können sich dies nur mit genügend Geld und Beziehungen ausgestattete Zeitgenossen leisten.

Was mich an dem Thema besonders beschäftigt, ist die Frage, warum wir oft geneigt sind, von jenen Menschen die weissesten Westen zu erwarten, die sich eine solche am wenigsten leisten können, beziehungsweise ihnen gar Flecken zu attestieren, wo gar keine sind. So werden derzeit Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen und auf die solidarische Unterstützung unseres Sozialstaates angewiesen sind, immer öfters pauschal zu Sozialschmarotzern oder gar zu Betrügern gemacht. Ich bin erschrocken, als ich vor kurzem in einer Fachzeitschrift las, dass es bereits als Sozialhilfemissbrauch ausgelegt werden kann, wenn eine Person aus seinem Sozialhilfegeld einen ausgeliehenen Geldbetrag zurückzahlt, etwa um eine Freundschaft nicht zu gefährden.

Auf der anderen Seite stand vor nicht allzu langer Zeit auch in der Zeitung, dass allein im vergangenen Jahr 40000 reuige Steuersünder (wohl mit dem Bestreben, ihre Westen noch rechtzeitig weiss zu waschen bevor es ungemütlich wird) Vermögenswerte in der Höhe von rund 10 Milliarden Franken offen gelegt haben. Dass ob der jahrelangen Unterschlagungen ein Aufschrei durch die Leserbriefspalten gegangen wäre, habe ich nicht wahrgenommen.

Heisst das, wir solidarisieren uns lieber mit jenen, die es verstehen, mit einer (vermeintlich) weissen Weste dazustehen beziehungsweise sich eine solche ohne grosse Nachteile zu beschaffen? So mit dem Gedanken, dass wir vielleicht ja auch mal froh wären um ein besonders effektives Fleckenmittel. Jene, die sich keine weissen Westen leisten können, machen uns demgegenüber auf die Gefahr aufmerksam, zu unseren eigenen nicht ganz makellosen Hemden und Blusen stehen zu müssen. Das braucht Mut.

Nun, unter diesen Umständen plädiere ich für etwas mehr Akzeptanz von nicht ganz lupenreinen Westen. Und wir sollten solche nicht nur uns selber, sondern auch jenen Menschen zugestehen, die sich nicht regelmässig den Gang in die Wäscherei leisten können. Vielleicht hilft uns dabei ja auch das Bewusstsein, dass wir nicht immer nur selber schuld sind an den Verunstaltungen, zumal uns manchmal ja auch unser Tischnachbar einen Spaghettifleck verpasst. Dem «Weisse-Westen-im-10-er-Pack-Anbieter» rate ich, seine Ware bunt einzufärben. Natürlich weiss ich, dass auch die «Buntwesten» nicht in jedem Fall beliebt sind (zurzeit vor allem, wenn sie gelb sind). Aber die Farben sind schon mal gut, den Flecken einen etwas unbeschwerteren Anstrich zu geben.