Die Dätwyler AG ist mehr als eine Fabrik - zumindest für die Urner. Sie ist grösste Arbeitgeberin, eine der grössten Steuerzahlerinnen, grösste Kulturfördererin. Damit ist die «Gummi», wie sie von den Einheimischen genannt wird, aber ein Klumpenrisiko für den strukturschwachen Bergkanton.
Wer im Kanton Uri lebt, kommt an der Dätwyler Holding AG, der Herstellerin von Kabel, Gummi, Verpackungen und Vertreiberin von Elektronikkomponenten, kaum vorbei. Sie ist nicht nur grösste Arbeitgeberin, sie reicht bis weit in andere Lebensbereiche der Bevölkerung hinein.
Die «Gummi» brachte dem Kanton den Tennis Club Dätwyler in Altdorf, Schwimmbäder und Turnhallen, aus ehemaligen Arbeiterhäuschen nahe dem Fabrikgelände wurde ein Familienquartier, die Dätwyler Stiftung spricht nebst weiteren Förderbeiträgen in regelmässigen Abständen hochdotierte Preise für Kulturschaffende, Unternehmer, Historiker und Institutionen. Und nicht zuletzt ist das Bild von Altdorf geprägt von den Fabrikhallen, keine zwei Gehminuten entfernt vom Dorfkern.
Seit fast hundert Jahren prägt die Firma den kleinen Bergkanton. 1915 beginnt die Geschichte des heutigen Unternehmens als Adolf Dätwyler Direktor der konkursiten Schweizerischen Draht- und Gummiwerke wurde. Fünf Jahre später wurde Dätwyler zum Mehrheitsaktionär der Gesellschaft.
1935 startete der umsichtige Unternehmer die ersten Schritte für den Aufbau der Firmengruppe. So gründete er in Pratteln die Fabrik für Firestone Produkte, die 1973 an Lizenzgeber Firestone USA verkauft wird.
1946 wird die Firma in Dätwyler AG umbenannt. Ein Jahr später beginnt mit der Übernahme der Gummi Maag AG der Eintritt ins Gummigeschäft. Zwei Jahre später erfolgt zuerst die Beteiligung und später die Übernahme der Stahlrohr AG in Rothrist. Die heutige Rothrist Rohr ist der weltweit grösste Hersteller von hochpräzisen Gasfederrohren für die Automobil-, Maschinen- und Möbelindustrie.
1958 übernimmt mit Peter und Max Dätwyler die zweite Generation das Zepter. Gleichzeitig werden die Beteiligungsgesellschaften in einer Holding zusammengefasst. Das Unternehmen beginnt 1968 die Expansion und mausert sich zum internationalen Player durch Zukäufe und Ausbauten einzelner Konzernbereiche.
Heute ist Dätwyler ein Mischkonzern mit internationaler Ausstrahlung. Die Gruppe liefert ihre Produkte in über 100 Länder und beschäftigt 7000 Mitarbeiter weltweit. 2013 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 1,38 Mrd. Franken.
Mitte der Siebzigerjahre beschäftigte die Dätwyler AG noch zirka 1500 Mitarbeiter in Altdorf. Heute sind es mit rund 900 Mitarbeitern noch weniger als ein Siebtel aller weltweiten Stellen. Für die Bewohner aber bleibt die «Gummi» wesentlich. «Die Dätwyler AG ist für Uri mehr als eine Fabrik», sagt Volkswirtschaftsdirektor Urban Camenzind der Nachrichtenagentur sda. Sie ist der wirtschaftliche Nabel.
Diese Grösse ist nicht ohne Risiken. «Ein Klumpenrisiko stellt die Dätwyler schon dar. Sie ist grösste Arbeitgeberin, eine der wichtigsten Steuerzahlerinnen. Da hängt viel dran», sagt Camenzind. Der CVP-Politiker beschwichtigt aber. Die Abhängigkeit sei früher grösser gewesen. Zudem sei das Risiko eher theoretischer Natur, sagt er. «Zurzeit hinterlässt die Gummi einen standfesten Eindruck. Das Management weiss, wohin es die Firma führen will.»
Dazu hat die Firma Massnahmen getroffen. Sie setzt auf margenstarke Geschäftsbereiche und will mit Zukäufen weiter wachsen. Alleine die im zweiten Halbjahr 2012 zugekauften Unternehmen Nedis, Zhonding Sealtech und Hankook Sealtech haben das Umsatzwachstum um über 12 Prozent getrieben.
Im Gegenzug stiess Dätwyler die Kabelsparte ab und verlagerte die Liftkabelproduktion nach China und die arbeitsintensive Kabelkonfektionierung nach Tschechien. Dies kostete am Standort Altdorf 100 Stellen. In Altdorf werden nur noch technisch hochwertige Kabeltypen hergestellt.
Demgegenüber hat Dätwyler investiert - in das Altdorfer Werk und in neue Produktionsstätten in Schattdorf, wo die Kaffeekapseln für Nespresso hergestellt werden. Dätwyler spricht von rund 30 Mio. Franken in den letzten drei Jahren alleine für die Kabelfabrik in Altdorf. In Schattdorf wird das Unternehmen 2013 und 2014 voraussichtlich rund 25 Mio. Franken in neue Maschinen und Anlagen investieren.
«Durch diese Investitionen hat sich der Konzern zum Standort Uri bekannt. Das ist ein gutes Zeichen», sagt Volkswirtschaftsdirektor Camenzind. Angst vor einer Abwanderung hat er deshalb keine. Zudem: Die Verbundenheit mit dem Kanton sei in der DNA der Firma.
Gleichzeitig sind die Beschäftigten äusserst loyal. Ein Beispiel dafür liefert Firmensprecher Guido Unternährer im Gespräch mit der sda. Als die Unwetter von 2005 den Urner Reussboden überfluteten, stand auch die Gummifabrik in Schattdorf tagelang unter Wasser.
Die Mitarbeiter hätten einen extremen Einsatz geleistet, um die Produktion wieder zum Laufen zu bringen, erzählt er. «Diese Loyalität und Leistungsbereitschaft hat dazu geführt, dass wir ein Jahr später die besseren Kundenbeziehungen pflegten als vorher. Die global tätigen Kunden haben das noch nie erlebt, dass sich die Leute so bedingungslos einsetzen.»
sda