OBWALDEN: OKB-Urteil schafft Verunsicherung

Sarnen hat einen national schützenswerten Ortskern. Das Bundesgericht erachtete das als Problem für den Neubau der Kantonalbank. Nun stellt man sich im Hauptort die Frage, was das für weitere Projekte bedeuten könnte.

Christoph Riebli
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Blick vom Dorfplatz über die Dorfkapelle zum alten Sitz der Kantonalbank. (Bild: D. Reinhard (Sarnen, Juni 2010))

Blick vom Dorfplatz über die Dorfkapelle zum alten Sitz der Kantonalbank. (Bild: D. Reinhard (Sarnen, Juni 2010))

Christoph Riebli

christoph.riebli@obwaldnerzeitung.ch

«Dieses Urteil betrifft nicht nur die OKB, sondern auch künftige Bauten in der Sarner Kernzone», prophezeite Bruno Thürig, Direktor der Obwaldner Kantonalbank, als er im April vom abschlägigen Bundesgerichtsentscheid in Sachen Neubau im Sarner Dorfkern erfuhr. Konsequenz: Die Bank baut nun auf der grünen Wiese im «Feld» (wir berichteten). Mit der Aufhebung der kommunalen Baubewilligung fürs Projekt «Drei­gestirn» haben die Richter in Lausanne im jahrelangen Rechtsstreit für Klarheit gesorgt, zugleich aber Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Hauptfrage: Ist das Urteil ein Hemmschuh für die weitere Innenentwicklung?, fragen sich dar­um neben Thürig lokale Politiker.

Dreh- und Angelpunkt ist das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung (Isos, siehe Kasten), in dem auch Sarnen als «Kleinstadt» auftaucht und auf das sich die Bundesrichter auf Empfehlung der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) abstützen. Dabei hätte das OKB-Projekt «eine alte Bausünde saniert und das Ortsbild aufgewertet», findet Lukas Bühlmann, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung, des nationalen Verbands für Raumplanung und -entwicklung.

Gutachten ist nicht öffentlich

«Es ist wohl viel schiefgelaufen im ganzen Prozess», sagt Bühlmann weiter, «ich durchschaue nur nicht genau, wo, weil ich das Gutachten der ENHK nicht kenne.» Ohne Gutachten sei auch die Begründung der Kommission nicht nachvollziehbar, und dass diese nicht öffentlich gemacht werde, «ist skandalös» und widerspreche dem Öffentlichkeitsprinzip. Notabene: Bühlmann ist weder Isos- noch ENHK-Kritiker. Im Gegenteil: Letztere bezeichnet er als angesehene unabhängige Fachkommission. Zudem hat er als Fachjurist schon unzählige Bundesgerichtsurteile analysiert.

Eines macht ihn im Fall OKB besonders stutzig: Das Bauprojekt entstand aus einem Projektwettbewerb in Begleitung des kantonalen Denkmalpflegers sowie des Fachgremiums Ortsbildschutz: «Mir fehlt die Interessenabwägung durch das Bundes­gericht.» Und zwar zwischen den Faktoren Ortsbildschutz und Verdichtung – gerade hier gebe es Ermessensspielraum, zumal beide von nationalem Interesse seien. «Die ENHK beurteilt ein Vorhaben ja nur aus der Sicht des Ortsbildschutzes. Die Gegenüberstellung mit der Verdichtung fehlt.»

Wie weiter? Muss man sich in Sarnen nun sorgen, dass der Ortsbildschutz zum Killerkriterium für strittige, verdichtende Bauvorhaben wird? Das sei nichts Neues, meint Bühlmann. Seit dem Isos-Grundlagenentscheid von 2009 (siehe Kasten) werde der Ortsbildschutz ständig als Argument gegen solche Bauprojekte vorgebracht – «auch von Leuten, die nicht Freunde des Ortsbildschutzes sind». Gerade beim Verdichten von Siedlungen werde es zudem immer auch Beschwerden von Nachbarn geben.

Experte fordert ein Umdenken der Gemeinden

Das wahre Problem ortet er wo­anders: «Heute beginnen die Streitigkeiten kurz vor Baubeginn, wenn der Bauherr schon viel investiert hat und nicht mehr flexibel ist und die Auseinandersetzung für alle Beteiligten frustrierend wird.» Hier seien besonders die Gemeinden gefordert, strategisch umzudenken und schon auf Stufe Entwicklungskonzept, Siedlungsleitbild und Zonenplan umsichtig zu agieren. «Dann haben auch Beschwerden vor Bundes­gericht eine geringere Chance, wenn die Richter sehen, dass eine zweckmässige Interessenabwägung vorliegt.»

Isos komme keineswegs die Funktion einer konservierenden Käseglocke zu: Es sei vielmehr eine Chance, räumliche Qualität und Identität zu erhalten statt «0815-Siedlungen und -Dörfer» zu fördern. Es sei eine gute Planungsgrundlage, um Behörden und der Bevölkerung klarzumachen, was genau der Wert eines Ortskerns sei. Zum Obwaldner Hauptort relativiert Bühlmann: «Sarnen ist ein typisches Beispiel für einen Ortskern, wie es im Mittelland viele gibt. Es gibt historisch gewachsene Strassenräume, wertvolle Ensembles von Bauten, es ist aber auch viel schiefgelaufen in der Siedlungsentwicklung.» Entsprechend müsse nicht alles ungeschmälert erhalten bleiben, «sonst kann man irgendwann gar nicht mehr bauen.»