Kolumne
Von Fleisch und Freundschaften

Unsere Redaktorin Yasmin Kunz verknüpft eine Metzgerei glatt mit Erinnerungen aus Kindertagen.

Yasmin Kunz
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Drei Sterne, ein Büffel, hängendes Fleisch im Grossformat. Dieses Bild einer wohl ziemlich guten Metzgerei in Antwerpen (Belgien) hat mir eine Kollegin aus den Ferien geschickt. Sie fügte folgende Frage an: Entdeckst du die Pointe?

Ihren Reisebegleiterinnen, die offenbar kein Auge für diese Metzgerei gehabt hatten, stellte sie die identische Frage. Subito sei eine Diskussion um das Töten von Tieren und das Essen von Fleisch entfacht. Doch darum ging es meiner Kollegin gar nicht.

Es geht um den Hund. Ist er Ihnen aufgefallen? Einen echten werden sie natürlich nicht finden, aber jenes Symbol an der Mauer just neben dem Schaufenster. Dieses weist darauf hin, wo der Hund hingehört, während sein Halter den Fleischkauf tätigt. Dass dem Vierbeiner der Zutritt zur Metzgerei untersagt ist, macht durchaus Sinn. Doch scheint mir der dem Hund zugewiesene Platz nicht viel passender zu sein, sondern ziemlich unsensibel dem Tier gegenüber! Ich weiss zwar nicht, ob Tiere über einen Gerechtigkeitssinn verfügen. Sicher macht es aber wenig bis keinen Spass, dort zu warten und den Blick ständig auf die saftigen Happen hinter der Scheibe gerichtet zu haben – ohne die geringste Möglichkeit, ein Stück zu ergattern, weil die Leine einen zurückhält.

«Zöikle» oder «spienzle» nennt man das in unserer Region. Andernorts heisst es zengg(e)le», «hänsele» oder «trätz(e)le». Die Schreibeweise variiert von Fall zu Fall. Wohl abhängig vom jeweiligen Dialekt. Bedeuten tut es aber überall dasselbe: etwas Verlockendes anbieten, was jedoch nicht zu haben ist. In unserem Fall führt man dem Hund, der womöglich zu Hause nur Trockenfutter kriegt, saftiges Fleisch wortwörtlich vor Augen.

Der einzige mir bekannte Hund, der einer solchen Versuchung widerstehen konnte, ist Idefix. Sein erster, nahezu unbemerkter Auftritt für alle Leserinnen und Leser spielte sich vor der Metzgerei in Paris ab, wo Obelix und Asterix Schinken aus Lutetia besorgten. Idefix widerstand dem saftigen Fleisch – dies, obwohl ein Schweinekopf zum Anbeissen auf der Theke lag. Er hegte aber die Hoffnung, zumindest den Knochen für sich zu beanspruchen. So folgt Idefix den beiden durch ganz Gallien.

Erst auf den letzten Seiten von «Tour de France» bemerkt Obelix den Vierbeiner. Wie die meisten wissen, ist das der Anfang einer langen Freundschaft. Fortan gehört Idefix als treuer Begleiter zu den beiden Protagonisten. Nebst den Knochen mag Idefix auch Bäume. Nichts macht ihn ranziger, als wenn der dicke Obelix sie entwurzelte.

Zurück zur Metzgerei in Belgien. Vielleich ist die Pointe also eher die: Wer Verlockungen standhält und sich in Geduld übt, gewinnt letztlich viel mehr als einen Happen Fleisch.