Die Corona-Krise zwingt uns, auf vieles zu verzichten. Über den möglichen Sinn von Verzicht sprachen wir mit der Mutter Oberin des Klosters Gerlisberg in Luzern, die seit 65 Jahren im Kloster freiwillig in Abgeschiedenheit lebt.
Die heute 90-jährige Sr. Maria Nicola Schmucki ist im St. Gallischen Rieden aufgewachsen. 1953 trat sie ins Kloster Baldegg ein. Seit 1955 ist sie Mitglied der Kapuzinerinnen-Gemeinschaft im Kloster St. Anna Gerlisberg in Luzern und wurde 1978 deren Mutter Oberin. Das Kloster Gerlisberg betreibt eine Hostienbäckerei und vermietet Zimmer für die Besinnung und den Rückzug. Zudem unterhält es seit 1966 eine Mission in Tansania.
Wie leben Sie als Nonne in der Corona-Krise? Mussten auch Sie Ihr Verhalten im Kloster ändern?
Ja, auch wir mussten uns anpassen. Wir dürfen keinen Besucher mehr empfangen. Unsere Krankenschwestern tragen Mundschutz. Besonders schmerzlich trifft uns, dass der priesterliche Dienst ausfällt. Es gibt keine öffentlichen Messen mehr. Das ist ein grosser Verzicht. Mit unseren eigenen Mitteln gestalten wir im kleinen Kreis in unserer klösterlichen Gemeinschaft Wort-Gottesdienste.
Wie stehts mit der Hostienbäckerei im Kloster?
Weil es keine Messen mehr gibt, ist der Bedarf nach Hostien sehr stark zurückgegangen. Wir haben deshalb Kurzarbeit beantragt.
Sie leben seit 65 Jahren als Nonne im Kloster Gerlisberg, in selbst gewählter Abgeschiedenheit vom geschäftigen weltlichen Leben. Das ist ja auch eine Art Quarantäne. Kann man das vergleichen?
Es sind zwei verschiedene Welten. Wir haben diese Abgeschiedenheit wie gesagt selber gewählt. Jetzt, in der Coronakrise, kamen die Menschen über Nacht in die Quarantäne. Aber es ist schon so: Wir haben viel Verständnis für die damit einhergehenden Probleme.
Der Tagesablauf der Kapuzinerschwestern im Kloster Gerlisberg sieht so aus: Die Schwestern stehen morgens sehr früh auf, dann folgt die erste Meditation, anschliessend das Stundengebet, das Frühstück, eine kurze Pause, die Eucharistie, die Lesung, das kirchliche Stundengebet am Mittag, dann wieder das Stundengebet am Abend. Schliesslich geht jede Schwester an die Arbeit; im Garten, am Computer oder in der Hostienbäckerei. Den Tag durch halten die Schwestern ihre Anbetungsstunde. Heute leben zehn Kapuzinerschwestern im Kloster Gerlisberg, fünf von ihnen stammen aus Tansania, wo das Kloster Gerlisberg eine Mission unterhält.
Als Klosterfrau müssen Sie auf vieles verzichten. Was bedeutet das für Sie?
Wir verzichten freiwillig auf das Muttersein, auf eine eigene Familie. Wir leben unsere Mütterlichkeit auf eine andere Weise. Wir sind mit unserem fürbittenden Gebet in der ganzen Welt anwesend, von früh bis spät.
Für uns weltliche Bürger ist der Rückzug in unsere vier Wände, der weitgehende Verzicht auf Kontakt mit anderen Menschen, wie sie uns die Coronakrise aufzwingt, ein einschneidendes Ereignis. Was raten Sie uns? Wie können wir sinnvoll damit umgehen?
Es gibt Zeiten, in denen man die Abgeschiedenheit stärker spürt. Bei uns im Ordensleben ist das so: Anfänglich leben wir in Zellen im Innern des Klosters, mit dem Blick ganz nach innen. Das ändert sich nach drei Jahren mit der Profess, dem Ablegen des Gelübdes von Armut, eheloser Keuschheit und Gehorsam. Von da an öffnet sich unser Blick nach aussen, auf den See, unsere schöne Stadt, die grossartige Bergwelt. Wir sehen die draussen spielenden Kinder, und der Pilatus steht jeden Mittag ganz fest bei uns am Esstisch.
In der Quarantäne leben wir jetzt umso intensiver mit unseren Familien, unseren engsten Bekannten zusammen. Das bietet die Chance, uns wieder näher zu kommen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr von Reibungen. Wie erleben Sie das im Kloster, wo Sie ja auch auf relativ engem Raum mit Ihren Mitschwestern zusammenleben?
Auch wir sind Menschen, auch bei uns gehen die Meinungen ab und zu auseinander, auch wir streiten ab und zu. Wichtig ist aber: Am Abend machen wir immer Frieden, so dass wir uns am nächsten Tag wieder in gutem Gespräch begegnen können.
Wie vertreibt man die Langeweile in Zeiten der Quarantäne?
Hier im Kloster haben wir einen sehr grossen Garten. Wir jäten im Kräutergarten und freuen uns, wenn die vielen Kräuter wieder hervorkommen. Wir geniessen es auch ganz einfach, an einem der schönsten Orte in der Stadt Luzern zu leben. Es tut gut, auch mal ein schönes Buch zu lesen.
Welches Buch liegt zurzeit auf Ihrem Nachttisch
Ich lese im Osservatore Romano, den Vatikan News, gerade die «Laudatio si» von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus. Darin stehen die wunderbaren Sätze: «Wir wurden im Herzen Gottes entworfen. Daraus gilt: Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes, jeder ist gewollt, jeder ist geliebt.» Das sind sehr tröstliche Worte. Es zeigt, dass Gott im Gespräch mit jedem einzelnen Menschen ist. Ich informiere mich aber auch über das Weltgeschehen, indem ich etwa die Luzerner Zeitung lese.
Wie nah geht Ihnen die Corona-Krise?
Wir fühlen uns verbunden mit allen, die von Corona betroffen sind, auch mit denen, die dadurch in Armut geraten. Ich weiss, wie sich das anfühlt. Ich habe als kleines Kind erlebt, wie mein Vater in Armut geriet, als sein Eisenwarengeschäft plötzlich nicht mehr rentierte und in Konkurs ging. Es tut mir weh, wenn ich sehe, dass das heute wieder passiert.
Was können wir in der Krise tun?
Wir können anderen Menschen Hilfe anbieten, geistig und physisch. Wir können telefonieren, anderen Menschen zuhören. Wir können alle gute Seelsorger sein.
Und wie können wir uns in unserer Freizeit ganz praktisch beschäftigen?
Familien können wieder vermehrt miteinander spielen, zum Beispiel jassen. Man kann seine kreativen Begabungen entdecken, ein Bild malen, einen Beitrag in einer Zeitung schreiben, den Kindern jetzt, da sie Homeschooling haben, bei den Hausaufgaben helfen. Schön zu sehen war jetzt gerade wieder in der Osterzeit, wie die Leute wunderschöne Osterbriefe schrieben.
Sie glauben an die göttliche Bestimmung. Hat die jetzige Krise auch in diesem Sinn eine Bedeutung?
Sie lehrt uns, unsere Augen wieder für das Wesentliche zu öffnen. Und ich glaube, wir haben schon Positives bewirkt. Weil wir weniger reisen und Auto fahren, ist unsere Luft viel reiner geworden. Wir haben also einen Beitrag zum Erhalt der Schöpfung geleistet.