Vor rund zwei Wochen teilte ABB einer überraschten Öffentlichkeit mit, dass Chef Ulrich Spiesshofer den Konzern per sofort verlassen werde. Einen Nachfolger konnte ABB nicht präsentieren, wie es sonst bei Grosskonzernen üblich ist.
Zudem konnte ABB nicht genau über die finanziellen Konditionen von Spiesshofers Abgang informieren. Auf Anfrage hiess es lediglich, man werde die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem ehemaligen Konzernchef einhalten. Alles Weitere sei im nächsten Geschäftsbericht zu finden. Damit wurde die Öffentlichkeit auf das kommende Jahr vertröstet.
Hohe Entschädigungen für scheidende Konzernchefs hatten in der Vergangenheit wiederholt für Aufregung gesorgt. Der heutige Ständerat Thomas Minder hatte mit seiner Abzocker-Initiative ein Verbot von Abgangsentschädigungen durchgesetzt, das für börsenkotierte Unternehmen gilt.
Gleichzeitig rückten Konkurrenzverbote in den Fokus. Daniel Vasella hatte sich nach seinem Rücktritt beim Pharmakonzern Novartis für ein sechsjähriges Konkurrenzverbot 72 Millionen Franken ausbezahlen lassen wollen. Er verzichtete nach einem öffentlichen Aufschrei.
ABB liess die Frage nach der Abgangsentschädigung von Spiesshofer zunächst unbeantwortet. Der Anlagestiftung Ethos fiel eine Lücke im Geschäftsbericht auf. In den ausführlichen Erklärungen zu den Entschädigungsprogrammen blieb offen: Was passiert mit den Aktien, die Spiesshofer im Rahmen seines Bonusprogramms zugeteilt, aber nicht endgültig überwiesen wurden?
Gemäss Geschäftsbericht waren es Ende 2018 rund 500 000 ABB-Aktien, die rund 10 Millionen Franken Wert haben. Dazu käme gemäss Geschäftsbericht ein Jahressalär, weil eine Kündigungsfrist von einem Jahr besteht. 2018 waren dies rund 8,5 Millionen. Dazu kämen weitere geschätzte 5,5 Millionen, weil ABB sich mit Spiesshofer auf ein einjähriges Konkurrenzverbot geeinigt hatte.
Total wären es rund 24 Millionen Franken. Die Anlagestiftung Ethos kam zum Schluss, dass sich eine solche Zahlung aufgrund der öffentlich zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausschliessen liess. Die «Schweiz am Wochenende» berichtete darüber.
An der Generalversammlung wurde Verwaltungsratspräsident und Übergangschef Peter Voser von einem Aktionär nach der Abgangsentschädigung gefragt. Und konkret auf die genannten 24 Millionen Franken angesprochen. Voser gab daraufhin vor den versammelten Aktionären weitere Auskünfte, die ABB zwei Wochen zuvor nicht gegeben hatte. Er liess jedoch eine Frage offen.
Voser betonte, dass die mit Spiesshofer getroffene Vereinbarung keine Sonderlösung darstelle. Kündigungsfristen und Konkurrenzverbote habe ABB mit Tausenden hochrangiger Mitarbeiter vereinbart. Spiesshofer werde in der einjährigen Kündigungsfrist noch ein volles Jahressalär erhalten, so Voser. Also: Das Grundsalär, Beiträge an die Pensionskassen sowie Boni, die an kurzfristige und langfristige Ziele gebunden sind. Der genaue Betrag ist noch nicht bekannt, aber es dürften wie 2018 um die 8,5 Millionen sein.
Nach dem Jahr der Kündigungsfrist greift das Konkurrenzverbot, das wiederum ein Jahr dauert. In dieser Zeit erhält Spiesshofer das Grundsalär und den Bonus, der an kurzfristige Ziele gebunden ist. Er erhält nichts an die Pensionskasse bezahlt und keinen Bonus, der an langfristige Ziele geknüpft ist. Die gesamte Entschädigung dürfte sich gemäss Voser am Ende zwischen 40 und 45 Prozent der genannten 24 Millionen belaufen. Also rund 11 Millionen.
Jedoch antwortete Voser in seinen Ausführungen nicht auf eine entscheidende Frage: Was geschieht mit jenen 500 000 ABB-Aktien, die Spiesshofer zugeteilt, aber nicht überwiesen bekam? Offenbar wird der Ex-Chef tatsächlich einen Teil jener Aktien erhalten. Je erfolgreicher der Konzern, desto höher der Anteil. Und je nachdem liegt die Entschädigung, die Spiesshofer noch von ABB erhält, nur wenig über den aktuell geschätzten 11 Millionen – oder deutlich darüber.