Städte und Kantone haben die Aufgabe, Strassen und Schienen in Stand zu halten. Das geht auch vom Schreibtisch aus. Ein Aargauer Unternehmen macht das möglich.
Die Schweiz hat ihr eigenes Street View. Das Aargauer Unternehmen iNovitas, eine Ausgründung der Fachhochschule Nordwestschweiz, erzeugt 3D-Bilddaten für die Überprüfung und den Erhalt von Infrastrukturen. Dafür fahren Autos mit allerlei technischen Gerätschaften – Kameras und Sensoren – auf dem Dach durchs Land.
Auf den Fahrzeugen steht «infra3DService». So nennt sich die Mobile-Mapping-Technologie, welche die Umgebung des Fahrzeugs fotografisch erfasst. GPS und Winkelsensoren messen dabei bis zu 200 Mal pro Sekunde die Position des Aufnahmewagens, während Kameras alle drei Meter ein Bild schiessen. Die 3D-Bilddaten erleichtern Kantonen, Städten und Gemeinden die Arbeit, weil sich der Zustand der Strassen vom Computer aus prüfen lässt. Oder man erkennt via Bildschirm, ob es an einer bestimmten Stelle gefährliche Verkehrssituationen gibt und wie die Sichtweiten der Fahrer sind. Die Kontrolle vor Ort ist nicht nötig.
«Bei uns geht es darum, sich die Infrastruktur an den Schreibtisch zu holen», sagt Gründer und CEO Christian Meier. Die Auflösung der Bilder gehe dabei bis in den Millimeterbereich. Zudem biete man eine Verortungsgenauigkeit, die andere nicht haben, sagt Meier. Hinzu kommt, dass sich die Daten über eine einfache Webapplikation aufrufen lassen. «Für die IT des Infrastrukturbetreibers ist kein einziger Franken Investition in neue Software oder Hardware nötig.» Die Bildschirmkontrollen haben auch den Vorteil, dass es keine Verkehrsbehinderungen durch Feldbegehungen mehr gibt. Und: «Infrastrukturprojekte sind um ein Vielfaches effizienter zu gestalten.» Die Kostensenkungen bei der Datenerhebung können zwischen 30 bis 60 Prozent liegen.
Das Geschäft läuft gut. Meier freut sich über ein «riesiges Wachstum». Unter anderem im Kanton Aargau und in der Stadt Zug werden die 3D-Bilddaten genutzt. Die Mitarbeiterzahl hierzulande hat sich bis auf 35 erhöht, europaweit sind es 70. iNovitas ist neben der Schweiz in Skandinavien und Osteuropa präsent, die Städte Berlin und Wien sind Kunden. Die 3D-Bilddaten eignen sich auch für Schienen. So setzen die Rhätische Bahn in Graubünden und die Verkehrsbetriebe Zürich auf die Technik. In Zürich erfasste man 2015 das komplette Schienennetz ausser den Schienen auf Arealen und in Gebäuden. Rund 160 Kilometer Gleis sind als «Infra3D RailTV» abrufbar. «Jährlich aktualisieren wir die sanierten oder umgebauten Abschnitte», erklärt Simon Räbsamen, Leiter Infrastruktur. Voraussichtlich alle drei bis fünf Jahre gibt es eine Neuaufnahme des kompletten Schienennetzes. Grunderfassung und Einführung von «Infra3D RailTV» kosteten knapp eine halbe Million Franken. Die Umstellung auf 3D-Bilddaten kam, weil das Bundesamt für Verkehr eine vollständige Kontrolle sämtlicher Haltekanten verlangt hatte. Dabei ging es um die Sicherheitsabstände auf Perrons, welche gemäss Verordnung nachzuweisen waren. Die messtechnische Prüfung konnte vom Schreibtisch aus laufen.
Bei der Einführung ging es auch darum, den logistischen Aufwand zu reduzieren. Räbsamen: «Die Alternative wäre gewesen, dass Personen sämtliche Haltestellen inspizieren müssen.» Die Erkenntnisse würden aber rasch veralten. Und sie hätten immer wieder vor Ort aktualisiert werden müssen. Mit den 3D-Bilddaten entfällt die Besichtigung vor Ort. «Das bedeutet für uns einen grossen Zeitgewinn.»
Schon 2013 hatte die Abteilung für Geomatik und Vermessung der Stadt Zürich den Korridor Hardbrücke-Rosengartenstrasse-Milchbuck erfasst. Auf rund drei Kilometern wurde der komplette sichtbare Strassenraum aufgenommen: Strassenkörper samt Trottoirs und Banketten, Signalisationen und Bäume. «Wir wollten eine kostengünstige Erfassung dieses Korridors während des rollenden Verkehrs für möglichst viele Anwendungsbereiche», sagt Stadtgeometer Bastian Graeff.
Aus den 3D-Bilddaten lassen sich die Koordinaten von Bäumen oder Signalisationen abgreifen. Oder Lage und Dimension von Strassenmarkierungen wie Fussgängerstreifen. «Durch die Messmethode vermeiden wir kostspielige und zeitintensive Aufnahmen mit herkömmlichen Methoden in der Nacht inklusive Strassensperrungen», erklärt Bastian Graeff. Teure Nachmessungen, wenn während der Aufnahme etwas vergessen wurde, seien auch nicht mehr nötig. Das Projekt habe «nennenswerte» Kosteneinsparungen gebracht, sagt Graeff.