Die aufgedeckte Lobbying-Affäre gibt Bemühungen für mehr Transparenz in der Schweizer Politik den vielleicht entscheidenden neuen Schwung
Wie beeinflussbar durch Geld ist die Schweizer Politik? Reden Parlamentarier mit fremder Zunge, im Namen gekaufter Interessen? Die Lobbying-Affäre um die FDP-Nationalräte Christa Markwalder (BE) und Walter Müller (SG), die derzeit für Schlagzeilen sorgt, wirft ein grelles Schlaglicht auf die Intransparenz unter der Bundeshauskuppel. Gleichzeitig ist der aufgedeckte Lobbying-Fall nur die – vergleichsweise harmlose – Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs.
«Das hat mit Demokratie wenig zu tun», sagt die abtretende Aargauer FDP-Ständerätin Christine Egerszegi, die im Interview beschreibt, wie «National- und Ständeräte, die in Verwaltungsräten oder Verbänden sitzen, Gesetzestexte genau so formuliert haben, wie es die betreffende Branche vorgab.» Diese Erlebnisse – und die millionenschwere «Propagandalawine zur Ausschaffungsinitiative der SVP» – haben sie von der Transparenz-Gegnerin zur -Befürworterin werden lassen beim umstrittenen Thema Parteienfinanzierung.
Unzählige Male sind Anläufe genommen worden, um die Finanzierung der Parteien ebenso offenzulegen wie die Geldflüsse für Kampagnen. Auch die intransparente Lobbying-Tätigkeit und die Zutrittsberechtigung ins Parlamentsgebäude von Public-Affairs-Firmen – dazu gehört auch Burson-Marsteller, um die sich die aktuelle Lobbying-Affäre dreht – waren bereits unzählige Male Thema von politischen Vorstössen, ohne dass sich am Gemauschel im Bundeshaus grundlegend etwas geändert hätte.
Doch jetzt befeuern die bekannt gewordenen Fälle – einerseits der Vorstoss von FDP-Nationalrätin Markwalder, der in Kasachstan redigiert wurde, andererseits die von Kasachstan bezahlte Reise von FDP-Nationalrat Müller – die ebenso langjährigen wie erfolglosen Bemühungen für mehr Transparenz in der Politik neu und vielleicht entscheidend.
«Im Kasachstan-Fall haben viele Anhänger des heutigen Badge-Zutrittssystems gemerkt, welches Reputationsrisiko man sich damit einhandeln kann», sagt FDP-Nationalrat Andrea Caroni (AR), der genau vor einem Jahr mit einer parlamentarischen Initiative für mehr Lobbying-Transparenz gescheitert ist. In der Juni-Session will Caroni seine Initiative erneut einreichen, aber präziser formuliert: «Ich werde darauf fokussieren, dass Public-Affairs-Lobbyisten in einem Register offenlegen müssen, welche Mandate sie im Bundeshaus vertreten.» Optional will Caroni auch das Götti-System, mit dem Parlamentarier zwei Gäste – meist Lobbyisten – ins Bundeshaus schleusen können, nochmals zur Debatte stellen. «Die Kasachstan-Affäre illustriert, dass es für das Parlament ein Akt des Selbstschutzes sein kann, wenn die Lobbyisten transparenter agieren müssen im Bundeshaus», sagt Caroni.
Noch weiter gehen will Claudio Kuster, der persönliche Mitarbeiter des parteilosen Ständerats Thomas Minder (SH). Die beiden Initianten der erfolgreichen «Abzocker»-Initiative haben bereits angekündigt, eine Volksinitiative für mehr Transparenz in der Politik ausarbeiten zu wollen. Gegenüber der «Schweiz am Sonntag» umreisst Kuster erstmals detailliert, in welche Richtung die Überlegungen gehen: «Für Mitglieder des Ständerats sollen Mandate verboten werden, die Mitglieder des Nationalrats sollen die Einkünfte aus ihren Mandaten offenlegen müssen.» So soll sichergestellt werden, dass zumindest in einer der Parlamentskammern – dem Ständerat – «frei von Partikularinteressen» entschieden wird. Als weiteres Element der Transparenz wollen Minder und Kuster das Götti-Zutrittssystem ins Bundeshaus durch Tagespässe für Lobbyisten ersetzen, die bei jedem Besuch im Parlamentsgebäude in ein Register eintragen müssen, für wen sie lobbyieren.
Rückenwind erhält mit der aktuellen Lobbying-Affäre der Evergreen der Bemühungen für mehr Transparenz in der Politik: die Parteienfinanzierung. «Das Projekt für die Transparenzinitiative bei Parteifinanzierung und Abstimmungskampagnen liegt weitgehend vor. Wir werden jetzt weitere Gespräche mit Vertretern aus anderen Parteien führen», sagt SP-Nationalrätin Nadine Masshardt (BE). Sie hat das Projekt letztes Jahr federführend ausgearbeitet, die SP-Spitze stellte es dann vorerst zurück. Jetzt, im Zug der Kasachstan-Affäre, erhält das Initiativprojekt wieder gewaltig Schub – auch bei Präsident Christian Levrat.
Der Entwurf der Initiative sieht vor, einen neuen Artikel in die Bundesverfassung einzufügen: «Finanzielle Transparenz politischer Prozesse». In Absatz 1 steht: «Politische Parteien legen ihre Eigenmittel sowie sämtliche Sach- und Geldzuwendungen von mehr als 10 000 Franken pro Jahr und Person offen.» Wer für eine Abstimmungskampagne über 100 000 Franken ausgibt, soll zudem «Höhe und Herkunft der Eigenmittel sowie sämtliche Sach- und Geldzuwendungen von mehr als 10 000 Franken pro Jahr und Person» offenlegen müssen.
Masshardt betont, sie sei im Interesse einer breiten überparteilichen Abstützung offen für Anpassungen. Klar ist für sie: «Ziel muss sein, die Initiative nächstes Jahr zu lancieren. Es ist Zeit, dass das Volk über diese Fragen entscheiden kann.»
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