Dass Bencic gegenüber Golubic im Fed Cup den Vorzug erhält, provoziert Fragen. Die 19-jährige konnte nämlich seit Oktober letzten Jahres nicht wirklich überzeugen.
Als die Frage kommt, die kommen muss, wendet sich Belinda Bencic (19) zu Captain Heinz Günthardt ab und flüstert ihm etwas ins Ohr. «Immer er», sagt sie über den Journalisten, der von Viktorija Golubic (24) wissen will, wie sie damit umgeht, dass ihr im Einzel die Jüngere vorgezogen wird, obwohl sie in der Weltrangliste vor ihr platziert ist und obwohl Bencic seit letztem Oktober ohne Erfolgserlebnis ist. Günthardt, am Mittwoch 58 Jahre alt geworden und im Tennis-Zirkus seit drei Jahrzehnten eine Instanz, mahnt seine Athletin zur Ruhe.
«In diesen Wochen geht es in der Gefühlswelt drunter und drüber. Ich finde es
super, solche Emotionen erleben zu dürfen.»
Daraus, dass es eine schwierige Entscheidung gewesen ist, macht er keinen Hehl. «Extrem schwierig sogar. Wir haben viel diskutiert und bis zum letzten Moment gewartet. Leider haben wir nur zwei Einzel, aber drei Spielerinnen, die gegen jede gewinnen können.
Entschieden hat am Ende das Bauchgefühl», sagt Günthardt. Auch ihm ist anzusehen, dass die Situation für ihn nicht einfach ist, obwohl er von einem Privileg spricht, dass er überhaupt die Qual der Wahl hat. Bisher hat sich sein Team jeweils von selbst aufgestellt.
Vor etwas mehr als einem Jahr gehörte Viktorija Golubic nicht einmal zu den besten 200 der Welt. Im Fed Cup hat sie im letzten April im Einzel zwei Siege eingefahren, darunter gegen Karolina Pliskova, die spätere US-Open-Finalistin.
Im Spätsommer feierte die Zürcherin in Gstaad ihren ersten Turniersieg. Auf Schweizer Boden, so scheint es, fühlt sie sich besonders wohl. «Stimmt. Aber man könnte meinen, dass ich überall sonst keinen Ball treffe», wendet sie bestimmt ein. Es ist auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins.
Die Enttäuschung steht ihr an diesem Mittag im Museum des Roten Kreuzes ins Gesicht geschrieben, ihre Antworten aber sind professionell. «Wir haben alle gewusst, dass eine von uns nicht spielen wird. Es ist nicht einfach für mich, aber wir sind hier ein Team. Jetzt gebe ich von der Bank aus alles», sagt Golubic.
Bacsinszky, die auch in der Rolle der Übersetzerin glänzt, und Günthardt quittieren diese Worte demonstrativ mit einem Klatschen. «Ich kann behaupten, bereit zu sein», sagt Golubic dann noch. Wie tief der Stachel sitzt, weiss nur sie.
Ihre Freundschaft ist so eng, dass sie auch ihre Freizeit miteinander verbringen. Diesen Winter besuchte Belinda Bencic (19, WTA 81) Kristina Mladenovic (23, WTA 31) in Paris, im Jahr zuvor begleitete sie die Französin und deren Freund, den Deutschen Alexander Zverev, auf die Malediven.
«Wir sind auf der gleichen Wellenlänge und können uns über alles unterhalten», sagt Bencic. «Sie ist meine beste Freundin, auf der Tour, aber auch sonst im Leben», sagt Mladenovic.
Drei Mal haben sie gegeneinander gespielt, zwei Mal hat Mladenovic gewonnen, immer war es eng, zuletzt beim Hopman Cup, als die Französin gewann. «Ich weiss, was ich besser machen muss. Die Details bespreche ich aber noch mit Heinz», sagt Bencic. «Kiki lebt von ihrem Aufschlag und dem ersten Schlag. Ich muss sie zum Laufen bringen.»
Obwohl sie seit Oktober auf einen Sieg wartet, wähnt sie sich auf dem richtigen Weg. «Ich fühle mich besser und mache kleine Fortschritte. Mein Saisonstart war gut, aber nicht gut genug.»
Bei ihrer Gegnerin ist das anders. Mladenovic feierte in St. Petersburg vor einer Woche ihren ersten Turniersieg. «Auf dem Platz gibt es keine Freundschaften», sagt sie bestimmt, auch wenn die Partie in Perth bisweilen den Charakter eines Schaukampfes hatte. «Wir können das trennen. Wenn der letzte Punkt gespielt ist, sind wir wieder Freunde.»
Unbestritten ist, dass die heutige Begegnung einen grösseren Stellenwert als alle bisherigen hat. Für Bencic ist es der erste Einzelauftritt auf Schweizer Boden. «Darauf freue ich mich unheimlich. Schon in Luzern war die Atmosphäre unglaublich und ich hatte Gänsehaut.» Eröffnet wird die Viertelfinal-Begegnung gegen Frankreich ab 14 Uhr aber von Timea Bacsinszky (27, WTA 16) und Frankreichs Nummer 2, Alizé Cornet (27, WTA 43). (SIH)
Alle seien gut in Form, «sogar sehr gut», sagt Günthardt, obwohl in diesem Jahr bisher erst Bacsinszky Einzel-Siege vorweisen kann. «Natürlich wäre es umgekehrt besser. Aber wenn es losgeht, gibt es nur den Schläger, den Ball und das Feld. Das Papier zählt nicht mehr. Wir haben ein Umfeld, in dem sich alle wohlfühlen. Alle vertrauen sich und wissen: Egal, was passiert, niemand muss sich erklären», beschwört er den Zusammenhalt.
Es sind die Zwischentöne, die erahnen lassen, wie schwierig solche Entscheidungen sein können. Einträge auf den Sozialen Medien, Selfies und lackierte Fingernägel bilden den sichtbaren Kitt der Gruppe. Und ein Gruppen-Chat auf Whatsapp. «Auch wenn ich manchmal die weibliche Seele nicht so ganz verstehe, ist dieser Austausch für mich jedes Mal wie ein Jungbrunnen», sagt Günthardt in der Broschüre zum Duell mit Frankreich.
«In diesen Wochen», gibt der sonst messerscharfe Analytiker preis, «geht es in der Gefühlswelt drunter und drüber. Ich finde es super, mit den Mädchen solche Emotionen erleben zu dürfen».
Bei der Nomination der zweiten Einzelspielerin konnte er nicht gewinnen. Verliert Bencic, wird ihm angekreidet, nicht auf Golubic gesetzt zu haben. Genau gleich hätte es sich im umgekehrten Fall verhalten.
«Heute bleibe ich viel gelassener, wenn etwas nicht so läuft wie vorgesehen. Ich habe begriffen, dass ich nicht alles unter Kontrolle haben kann», sagt der Zürcher. Als die letzte Frage beantwortet ist, erhebt er sich von seinem Stuhl. Und wirft dem Journalisten, der Golubic nach ihrer Gefühlslage gefragt hat, ein verschmitztes Lächeln zu.