Am Sonntag steht in Belgien die Prüfung gegen die Uhr auf dem Programm. WM-Favorit ist mit Stefan Küng ein Schweizer. Mit perfekter Ausrüstung. Mit Stefan Bissegger ist ein zweiter Thurgauer dabei.
Die erste Rad-WM fand vor genau 100 Jahren in Kopenhagen statt. 1921 war bloss ein Rennen ausgeschrieben. Ein Zeitfahren über 190 Kilometer – ausschliesslich für Amateure. Nach Ansicht des internationalen Verbandes gab es zu wenige Profis für einen separaten Wettbewerb für die Berufsfahrer.
Der erste Weltmeister – ein gewisser Gunnar Sköld aus Dänemark – würde sich wundern, wenn er am Sonntag seinen Nachfahren zuschauen würde. Die technische Entwicklung der Velos, die in den Zeitfahren verwendet werden, hat sich in den vergangenen Jahren rasant beschleunigt. Europameister Stefan Küng, seit 2015 Profi, sagt: «Wenn ich es mit meinem Anfängen als Berufsfahrer vergleiche, kann man fast von einem Quantensprung sprechen.»
Jedem Detail wird Rechnung getragen. Es geht in den Prüfungen gegen die Uhr vor allem um Aerodynamik und die Minimierung des Rollwiderstands. Der 27-jährige Küng sagt:
«Die Europameisterschaft gewann ich mit einem Stundenmittel von 55 Kilometern. Das wäre vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen»
Auch die Reifen spielen eine erhebliche Rolle. Der Thurgauer erfuhr dies am eigenen Leib. 2019 wurde er im WM-Zeitfahren bloss Zehnter. Trotz prächtiger Form, denn ein paar Tage später wurde er im Strassenrennen WM-Dritter. Küng analysierte und testete, was das Zeug hielt und fand unter anderem heraus, «dass ich mit besseren Reifen pro Kilometer eine Sekunde schneller gewesen wäre». Dann hätte er Bronze gewonnen. Die WM-Medaille holt er ein Jahr später doch noch. Und am Sonntag soll es der Titel sein.
Das Testen hat nie ein Ende für einen Zeitfahrspezialisten wie Küng: «Die Coronazwangspause kam mir in dieser Beziehung entgegen. Ich hatte viel Zeit, um mit meinem Team die technischen Fortschritte weiter zu treiben.» Seine Mannschaft gibt aufgrund der Erfahrungen Empfehlungen an den Reifenhersteller ab. So sollte Küng gerüstet sein, um am Sonntag im Zeitfahren die Konkurrenten um Gold in die Schranken zu weisen:
«Dank des EM-Titels habe ich sicher mentale Vorteile. Es ist an den anderen, nervös zu sein.»
Zweiter Schweizer im Rennen um die WM-Medaillen ist Stefan Bissegger, dreifacher Saisonsieger im Rahmen der World Tour. Zweimal davon triumphierte der Thurgauer in einer Prüfung gegen die Uhr.
Bissegger startet zum ersten Mal an einer Elite-WM. 2019 gewann er im U23-Zeitfahren EM-Bronze. Im vergangenen Jahr wollte er in Aigle an der Heim-WM U23-Weltmeister werden, aber Covid machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Zur Materialschlacht sagt der seit dieser Woche 23-jährige, gelernte Fahrradmechaniker: «Darum kümmert sich in meinem Team die Wissenschaft.» Wenn das Gunnar Sköld 1921 gewusst hätte.
Von den technischen Erfahrungen Stefan Küngs profitiert auch Marlen Reusser, die ebenfalls Europameisterin im Zeitfahren ist. «Sie ist noch nicht so lange dabei. Ihr Umfeld hat noch nicht so viel Know-how entwickeln können», sagt Küng.
Reusser startet am Montag zum WM-Zeitfahren der Frauen über gut 30 Kilometer. Das Ziel der Olympiazweiten ist der Gewinn des WM-Titels. Gelingt ihr dies, hat sie doppelten Grund zum Jubeln, denn am 20. September wird die Bernerin 30-jährig. Gute Chancen, WM-Edelmetall zu holen, hat Reusser auch am Mittwoch, wenn sie mit Küng und Stefan Bissegger in Belgien zur Mixed-Staffel startet.