Seit Mitte Juli hat sich das Infektionsgeschehen in Japan massiv beschleunigt, davon unabhängig zu betrachten sind die Olympischen Spiele. Bei über 600'000 Tests wurden nur 430 Fälle registriert. Das Experiment mit einem Anlass dieser Grössenordnung ist geglückt.
Es gab Leute, die bei diesen Olympischen Spielen eine Strichliste führten. Sie zählten nicht Medaillen, sondern Coronafälle. Doch sie wurden enttäuscht: Bis am Sonntag wurden 624'364 Tests durchgeführt, 430 waren positiv, nur ein Viertel davon war aus dem Ausland eingeschleppt worden, betroffen waren 29 Sportler. Angesichts der Tatsache, dass knapp 80'000 Menschen, davon 11'500 Sportlerinnen nach Tokio gereist waren, ist das verschwindend wenige, und sehr viel weniger als befürchtet worden war.
Geschuldet ist das den Schutzmassnahmen und dem strengen Testregime. Zuschauer waren nur bei einigen wenigen Wettkämpfen ausserhalb Tokios zugelassen. Wer positiv getestet wurde, musste in ein Quarantänehotel, Kontakt zur japanischen Bevölkerung gab es zu keinem Zeitpunkt.
Japan befindet sich derzeit in der vierten Welle der Pandemie. Allerdings beschleunigte sich das Infektionsgeschehen bereits Mitte Juli, als der Olympia-Tross noch nicht in Japan weilte. Derzeit registriert das Land, das 127 Millionen Einwohner zählt, täglich 15'000 neue Ansteckungen, ein Drittel davon entfällt auf den Grossraum Tokio. So gesehen sind die im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen registrierten Fälle nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Zumal mehr als 80 Prozent der eingereisten Athletinnen und Betreuer bereits doppelt geimpft sind.
Der internationale Sport hätte sich Olympische Spiele mit Zuschauern gewünscht, das ist unbestritten. Doch das Festhalten an den Wettkämpfen war im Interesse aller Beteiligten und muss als Schadensbegrenzung verstanden werden. Eine Verschiebung oder gar eine Absage wären nicht nur kompliziert gewesen, sondern auch systemschädigend. 15,4 Milliarden hat die Verschiebung die Organisatoren gekostet, vermutlich liegen die Zahlen deutlich höher. So genau kann und will das niemand sagen.
Das Internationale Olympische Komitee IOC generiert praktisch seine gesamten Einnahmen aus dem Verkauf der TV- und Sponsoringrechte. Im letzten olympischen Zyklus, der die Winterspiele 2014 in Sotschi und die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro umfasste, löste es 5,16 Milliarden Dollar. 90 Prozent dieses Geldes fliesst an Organisatoren und Teilnehmer. Viele der 28 angeschlossenen Sommersportverbände leben zu einem grossen Teil von Geldern, die das IOC an diese Verbände ausschüttet.
Hatten die Sportlerinnen und Sportlern im vergangenen Jahr noch mit Boykott gedroht, waren diesmal alle dankbar, fanden die Olympischen Spiele statt. Für sie sind sie ein Fixpunkt, wenn nicht sogar der Höhepunkt der Karriere. Sie arbeiten während Jahren auf diese Ziel hin. Viele von ihnen haben ihren Rücktritt verschoben, um noch einmal an Olympischen Spielen teilzunehmen. Keine und keiner monierten nach dem Wettkampf, sie hätten ihre Reise bereut. Es überwogen Dankbarkeit und der Respekt gegenüber der japanischen Bevölkerung, die sich gegen die Durchführung ausgesprochen hatte, die Spiele dann aber doch noch feierte.
Zu vereinzelten Protesten kam es zwar fast täglich, doch diese hielten sich in einem Rahmen, der für Olympische Spiele nicht untypisch ist. Grössere Kundgebungen blieben aus. Auch Japans Bevölkerung arrangierte sich mit den Pandemie-Spielen, die für die Wirtschaft ein wichtiger Faktor waren.
Noch nicht abschliessend zu beurteilen ist, ob die Olympischen Spiele - wie von Gesundheitsexperten befürchtet - zum Superspreaderevent wurden. Für Japan trifft das nicht zu, das Infektionsgeschehen hatte sich bereits vor der Ankunft des Olympia-Trosses beschleunigt. Noch offen ist, ob Rückreisende das Virus aus Japan in ihre Heimat einschleppen werden. Allerdings ist fraglich, ob die Frage, ob die Olympischen Spiele zu einem Superspreaderevent wurden, je schlüssig beantwortet werden kann.
Nach über einem Jahr in Isolation und Quarantäne brauchten die Sportler und die Menschen wieder Perspektiven und die schrittweise Rückkehr zur Normalität. Die Emotionen, die diese Olympischen Spiele überall auf der Welt und auch in der Schweiz überwiegend ausgelöst haben, gaben den Menschen dieses Gefühl von Normalität, bei überschaubarem Risiko.
Sicher ist: Angesichts der Zahlen darf das Experiment mit einem Mega-Event dieser Grössenordnung während der Coronapandemie als vollauf geglückt betrachtet werden. Verbunden mit der Hoffnung, dass es die einzigen Olympischen Sommerspiele unter erschwerten Bedingungen bleiben werden. Bei den nächsten Winterspielen in Peking im nächsten Winter dürfte das Virus die Spielregeln noch weitgehend diktieren.