Gschobe #22
Lara – besser als gut

Sie stammen aus dem gleichen Dorf im Appenzellerland, sind zwischen 45 und 48, treffen sich einmal pro Woche und jassen oder spielen Boule. Pius, Qualitätsmanager, Appenzell David, Lehrer, Speicher AR, Tobias, Consultant, Zürich Flavio, Sozialarbeiter, Kirchberg SG, François, Journalist, Windisch

François Schmid-Bechtel
Drucken
Gschobe mit François Schmid-Bechtel

Gschobe mit François Schmid-Bechtel

Aargauer Zeitung

Pius: Hoffentlich belohnt sie sich endlich mal mit Olympia-Gold.

David: Von wem sprichst du?

Pius: Von Lara Gut natürlich.

Tobias: Warum ausgerechnet sie? Die Zeitungen schreiben doch immer wieder, sie sei bisweilen etwas zickig.

Pius: Dummes Zeug, sag ich euch.

Tobias: Gut möglich. Schon allein, dass sie sich absondert mit ihrem Privat-Team, schürt Neid, vielleicht sogar Ressentiments.

François: Ja, wir Schweizer haben Mühe damit, wenn nicht im Gleichschritt marschiert wird. Erst recht, wenn der Alleingang auch noch erfolgreich ist wie bei Lara Gut. Als wollten wir das sozialistische Flämmlein nicht ganz auspusten.

David: Ja, und Lara Gut ist definitiv der Gegenentwurf zur System-Sportlerin. Selbstbewusst und eigenwillig. Eine Parade-Individualistin. Marken- und Werbebotschafterin. Stets ausgeleuchtet im perfekten Licht.

François: Und sie weiss, was sie will – Erfolg. Und sie weiss, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Und sie hat die Klugheit, auf Dinge zu verzichten, die sie auf ihrem Weg nicht weiter bringen. Deshalb foutiert sie sich auch um die Rolle des Ski-Schätzlis.

Tobias: Schön und gut. Aber etwas nahbarer könnte sie sich schon geben.

Pius: Ich denke, das ist gar nicht möglich. Kürzlich habe ich den Dok-Film «Laras Lauf» gesehen. Da sieht man sie allein bei der Pistenbesichtigung, allein im Sessellift, allein im Hotelzimmer, allein im Pool, allein im Nebel auf der Piste, allein im Kraftraum. Das erweckt den Eindruck, als führte sie ein einsames Leben. Ich denke, dass Lara Gut sehr vieles in ihrem Leben mit sich alleine ausmachen muss.

François: Ich hatte ähnliche Gedanken während des Films. Beeindruckt hat mich ihre Reife, ihre Reflexion nach dem Kreuzbandriss. Sie sagt Dinge wie: Der Unfall passiert, weil der Kopf schon lange nicht mehr kann und der Körper irgendwann nachziehen muss. Oder: Leider ist es manchmal fast schon eine Erlösung, wenn man sich verletzt. Und sie sprach im Zusammenhang mit der Verletzung von einer Lektion und davon, dass sie sich selber aufgeopfert habe, «für was auch immer».

David: Ja, das war echt stark. Aber noch berührender fand ich, als sie sagte: Ich habe mich als 26-jährige Frau wieder entdeckt. Das letzte Mal, als ich mich als Mensch fühlte, war ich 18. Und sie fragt sich: Was habe ich in den letzten Jahren als Mensch gemacht?

Tobias: Da ist jeder Rosamunde-Pilcher-Film im Vergleich dazu eine realitätsnahe Studie sozialer Brennpunkte.

Pius: Was hast du nur gegen Lara Gut?

Tobias: Eigentlich nichts. Meine Sympathien sind einfach bei Simi Ammann.

David: Schon klar. Du stammst ja auch von einer Zirkus-Dynastie ab. Da sympathisiert man wohl zwangsläufig mit lustigen Figuren.

Tobias: Gemach, gemach. Erstens: Ammann ist der wohl authentischste Sportler, den dieses Land je gesehen hat. Zweitens: Kaum ein Sportler ist so selbstironisch wie Ammann. Drittens: Viermaliger Olympiasieger. Noch Fragen?

Pius: Ja, zwei Fragen: War sein Crash mit einer Kamera beim Super10Kampf inszeniert? Und: Ist Ammann der Kim-Doppelgänger, der bei der Eröffnungsfeier aus dem Stadion geworfen wurde?