Am Samstag findet der 16. Kilchberger-Schwinget statt. Die Sportart Schwingen erfährt in den letzten Jahren eine steigende Popularität. Eine Schweizer Tradition, die in Frieden, Freiheit, Unschuld und Idylle lebt.
Von der Popularität der Schwinger können andere Sportarten nur träumen. Auch solche mit viel mehr Aktiven und reichlich Sponsorengeld. Es lohnt sich also, der Frage nachzugehen, wie es möglich ist, dass aus einer sportlichen Randgruppe nicht nur eine der populärsten Sportarten geworden ist, deren Stars auf Augenhöhe mit den Titanen aus der Ski-, Fussball- oder Hockeyszene stehen. Schwingen hat sich darüber hinaus zu einer «Volksbewegung» entwickelt und die Sägemehlringe sind Kraftorte unseres Patriotismus.
Eine Antwort liefert uns der weltberühmte Philosoph Jean-Jacques Rousseau aus Genf. Er prägte in unruhigen Zeiten, als im 18. Jahrhundert am Horizont schon das Wetterleuchten der französischen Revolution aufflackerte, den Begriff des «edlen Wilden.» Die lebten, so seine Botschaft, unberührt von den Verderbnissen der Welt in Frieden und Freiheit, Unschuld und Idylle. Sie waren gutmütig, klug, grossherzig, gesund und glücklich.
Inzwischen sind die Zeiten wieder etwas unruhig geworden. Die Globalisierung verunsichert die Menschen und weckt eine Sehnsucht nach festem eigenen Boden unter den Füssen. Der gute Rousseau würde also heute mit seiner Botschaft wieder Gehör finden. Klugerweise würde er nicht mehr von den «edlen Wilden» philosophieren, was ihm ja unweigerlich den Vorwurf einbrächte, ein Rassist zu sein. Vielmehr würde er den «bodenständigen Schwinger» als Lichtgestalt lobpreisen.
Tatsächlich sind die Schwingergestalten viel mehr als populäre Sportler. Die kräftigen, kernigen Kerle eidgenössischer Abstammung sind zwar auch die Leuchttürme einer starken national-konservativen Grundströmung. Sie stehen in ihrem Wesen und Wirken für das romantische Bild einer freien, edlen Schweiz. Dazu passt wunderbar, dass der Beste ein König ist, der wohl Privilegien geniesst, aber eben, wie es sich in einer Demokratie gehört, seinen Thron in gewaltigen Ringkämpfen zu verteidigen hat.
Aber es ist keineswegs so, dass die rechtskonservativen Kräfte das Schwingen für sich beanspruchen können. Längst faszinieren die «Bösen» alle sozialen und politischen Schichten. Das staatstragende eidgenössische Fernsehen, das mehr und mehr von den internationalen Futtertrögen verdrängt wird (beispielsweise gibt es keine Livebilder mehr von YB in der Champions League) und dem gewiss nicht der Schwefelgeruch eines rechtslastigen Populismus anhaftet, hat früh das Potenzial der Sägemehlkultur erkannt.
Die hochklassigen Livebilder der Schwingfeste haben die Popularität der Schwinger ebenso befeuert wie in den anderen Medien die Storys und Abbildungen über die Helden in Zwilchhosen. Schwingen ist ein Nationalsport geworden, in seiner Ausstrahlung vergleichbar mit dem Football in den USA, dem Eishockey in Kanada, dem Sumo-Ringen in Japan, dem Fussball in Deutschland oder dem Rugby in Neuseeland. Schwingen bietet alles: guten Sport, Heimat und immer helvetische Sieger.
Sind die Schwinger tatsächlich die «Edlen Wilden» der Moderne? Nein. Schon die Zeitgenossen von Jean-Jacques Rousseau wussten sehr wohl, dass seine «edlen Wilden» nicht wie auf einem Ponyhof lebten. Und so ist auch die vermeintlich heile Welt der Schwinger immer mehr den Versuchungen des Sportkapitalismus ausgesetzt. Die Werbebranche bemüht sich eifrig, die Popularität der «Bösen» zu bewirtschaften.
Vermutungen über märchenhafte Werbeeinkünfte der ganz «Bösen» von bis zu einer halben Million sorgen für Neid. Inzwischen werden die Stars (die «Bösen») von «Mänätschern» vermarktet, die noch vor 40 Jahren unter Treichelklängen vom Schwingplatz vertrieben worden wären. Es gibt in den Kulissen ein ordentliches Hauen und Stechen um Medienpräsenz und Werbebatzen.
Bisher ist es den klugen «Zwilchhosen-Generälen» um Rolf Gasser, dem Geschäftsführer des Verbandes, gelungen, Auswüchse einzudämmen. Beispielsweise konnten sie der Versuchung widerstehen, für viel Geld aus der Kasse eines grossen Medien-Gemischtwarenladen im Winter im Hallenstadion ein «Masters» mit den «Bösesten» zu veranstalten. Es wäre eine Zirkusveranstaltung geworden.
Und die Kritiker, die den Gralshütern des Sägemehls vorwerfen, die TV-Rechte für ein Butterbrot zu verkaufen und auf mindestens eine halbe Million im Jahr zu verzichten, sind Narren. So käme viel zu viel Geld in die Verbandskasse und die daraus resultierenden Begehrlichkeiten würden die Schwingerkultur in den Grundfesten erschüttern. Den Schwingern gelingt nach wie vor erstaunlich gut, auf der Gratwanderung zwischen Geld und Geist die Balance zu bewahren.