kilchberger-Schwinget
Faszination Schwingen: Eine heile Welt, die vielen Gefahren ausgesetzt ist

Am Samstag findet der 16. Kilchberger-Schwinget statt. Die Sportart Schwingen erfährt in den letzten Jahren eine steigende Popularität. Eine Schweizer Tradition, die in Frieden, Freiheit, Unschuld und Idylle lebt.

Klaus Zaugg
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Schauplatz Kilchberg: Hier findet am Samstag das traditionsreiche Schwingerfest statt.

Schauplatz Kilchberg: Hier findet am Samstag das traditionsreiche Schwingerfest statt.

Urs Flueeler / KEYSTONE

Von der Popularität der Schwinger können andere Sportarten nur träumen. Auch solche mit viel mehr Aktiven und reichlich Sponsorengeld. Es lohnt sich also, der Frage nachzugehen, wie es möglich ist, dass aus einer sportlichen Randgruppe nicht nur eine der populärsten Sportarten geworden ist, deren Stars auf Augenhöhe mit den ­Titanen aus der Ski-, Fussball- oder Hockeyszene stehen. ­Schwingen hat sich darüber hinaus zu einer «Volksbewegung» entwickelt und die Sägemehlringe sind Kraftorte unseres Patriotismus.

Schwinger als edle Wilde im Sägemehl

Eine Antwort liefert uns der weltberühmte Philosoph Jean-Jacques Rousseau aus Genf. Er prägte in unruhigen Zeiten, als im 18. Jahrhundert am Horizont schon das Wetterleuchten der französischen Revolution aufflackerte, den Begriff des «edlen Wilden.» Die lebten, so seine Botschaft, unberührt von den Verderbnissen der Welt in Frieden und Freiheit, Unschuld und Idylle. Sie waren gutmütig, klug, grossherzig, gesund und ­glücklich.

Samuel Giger ist am Kilchberger der grosse Favorit.

Samuel Giger ist am Kilchberger der grosse Favorit.

Gian Ehrenzeller / KEYSTONE

Inzwischen sind die Zeiten wieder etwas unruhig geworden. Die Globalisierung verunsichert die Menschen und weckt eine Sehnsucht nach festem eigenen Boden unter den Füssen. Der gute Rousseau würde also heute mit seiner Botschaft wieder Gehör finden. Klugerweise würde er nicht mehr von den «edlen Wilden» philosophieren, was ihm ja unweigerlich den Vorwurf einbrächte, ein Rassist zu sein. Vielmehr würde er den ­«bodenständigen Schwinger» als Lichtgestalt lobpreisen.

Joel Wicki am 16. Kilchberger Schwinget 2014. Kann er sich dieses Jahr den Sieg holen?

Joel Wicki am 16. Kilchberger Schwinget 2014. Kann er sich dieses Jahr den Sieg holen?

Philipp Schmidli

Tatsächlich sind die Schwingergestalten viel mehr als populäre Sportler. Die kräftigen, kernigen Kerle eidgenössischer Abstammung sind zwar auch die Leuchttürme einer starken national-konservativen Grundströmung. Sie stehen in ihrem Wesen und Wirken für das romantische Bild einer freien, edlen Schweiz. Dazu passt wunderbar, dass der Beste ein König ist, der wohl Privilegien geniesst, aber eben, wie es sich in einer Demokratie gehört, seinen Thron in gewaltigen Ringkämpfen zu verteidigen hat.

Livebilder bescheren grosses Interesse

Aber es ist keineswegs so, dass die rechtskonservativen Kräfte das Schwingen für sich beanspruchen können. Längst faszinieren die «Bösen» alle sozialen und politischen Schichten. Das staatstragende eidgenössische Fernsehen, das mehr und mehr von den internationalen Futtertrögen verdrängt wird (beispielsweise gibt es keine Livebilder mehr von YB in der Champions League) und dem gewiss nicht der Schwefelgeruch eines rechtslastigen Populismus anhaftet, hat früh das Potenzial der Sägemehlkultur erkannt.

Die Faszination an Schwingerfeste ist immer noch ungebrochen.

Die Faszination an Schwingerfeste ist immer noch ungebrochen.

Philipp Schmidli

Die hochklassigen Livebilder der Schwingfeste haben die Popularität der Schwinger ebenso befeuert wie in den anderen Medien die Storys und Abbildungen über die Helden in Zwilchhosen. Schwingen ist ein Nationalsport geworden, in seiner Ausstrahlung vergleichbar mit dem Football in den USA, dem Eishockey in Kanada, dem Sumo-Ringen in Japan, dem Fussball in Deutschland oder dem Rugby in Neuseeland. Schwingen bietet alles: guten Sport, Heimat und immer helvetische Sieger.

«Böse» und «Mänätscher»

Sind die Schwinger tatsächlich die «Edlen Wilden» der ­Moderne? Nein. Schon die Zeitgenossen von Jean-Jacques Rousseau wussten sehr wohl, dass seine «edlen Wilden» nicht wie auf einem Ponyhof lebten. Und so ist auch die vermeintlich heile Welt der Schwinger immer mehr den Versuchungen des Sportkapitalismus ausgesetzt. Die Werbebranche bemüht sich eifrig, die Popularität der «Bösen» zu bewirtschaften.

Matthias Sempach war 2014 der letzte Sieger in Kilchberg.

Matthias Sempach war 2014 der letzte Sieger in Kilchberg.

Urs Flueeler / KEYSTONE

Vermutungen über märchenhafte Werbeeinkünfte der ganz «Bösen» von bis zu einer halben Million sorgen für Neid. Inzwischen werden die Stars (die «Bösen») von «Mänätschern» vermarktet, die noch vor 40 Jahren unter Treichelklängen vom Schwingplatz vertrieben worden wären. Es gibt in den Kulissen ein ordentliches Hauen und Stechen um ­Medienpräsenz und Werbe­batzen.

Verband will Schwingerkultur nicht verkaufen

Bisher ist es den klugen «Zwilchhosen-Generälen» um Rolf Gasser, dem Geschäftsführer des Verbandes, ­gelungen, Auswüchse ­einzudämmen. Beispielsweise konnten sie der Versuchung ­widerstehen, für viel Geld aus der Kasse eines grossen Medien-Gemischtwarenladen im Winter im Hallenstadion ein «Masters» mit den «Bösesten» zu veranstalten. Es wäre eine Zirkusveranstaltung geworden.

Und die Kritiker, die den Gralshütern des Sägemehls vorwerfen, die TV-Rechte für ein Butterbrot zu verkaufen und auf mindestens eine halbe Million im Jahr zu verzichten, sind Narren. So käme viel zu viel Geld in die Verbandskasse und die daraus resultierenden Begehrlichkeiten würden die Schwingerkultur in den Grundfesten erschüttern. Den Schwingern gelingt nach wie vor erstaunlich gut, auf der Gratwanderung zwischen Geld und Geist die Balance zu bewahren.