Keine Rennen und keine Prämien für Töffstar Tom Lüthi

Erst ein Motorrad-GP in dieser Saison: Tom Lüthi muss den Gürtel enger schnallen – aber in Existenznot gerät er nicht.

Klaus Zaugg
Drucken
Tom Lüthi (im Bild an der Spitze) fährt im letzten Rennen der WM-Saison 2019 auf den zweiten Platz.

Tom Lüthi (im Bild an der Spitze) fährt im letzten Rennen der WM-Saison 2019 auf den zweiten Platz.

Bild: Vincent Guignet/Freshfocus (Valencia, 17. November 2019)

Ein Scherz könnte bittere Wirklichkeit werden. Beim Saisonstart am 8. März im Morgenland (Katar) motiviert ein Spassvogel Tom Lüthi mit einem launigen Spruch. «Du solltest unbedingt gewinnen. Vielleicht ist es das einzige Rennen der Saison und dann bist du Weltmeister…». Es reichte nur zum 10. Platz.

Seither haben die Motoren nicht mehr gebrüllt. Bereits sind 13 der 20 GP abgesagt oder verschoben worden. Vielleicht gelingt es mit Rennen ohne Zuschauer, einen Teil der Saison zu retten. Ein Geister-GP ist allerdings komplexer als ein Geisterspiel im Fussball oder Hockey.

Bei einem Motorrad-GP rücken in Europa bis zu 5000 Personen – Fahrer, Techniker, Medienschaffende, Streckenposten, Personal für die TV-Produktion, VIPs, Gäste – ins Fahrerlager ein. Aber mehr als 1300 erlauben die aktuellen Sicherheitsbestimmungen noch nicht.

Inzwischen sind Sicherheitskonzepte für Rennen ohne Zuschauer ausgearbeitet worden. Aber noch keine Regierung hat offiziell grünes Licht für Geisterrennen gegeben.

In der Formel 1 ist es wesentlich kostspieliger

Der «Grand-Prix-Zirkus» kann die Krise besser verkraften als beispielsweise die grossen Fussballligen. Weil das GP-Spektakel vergleichsweise billig ist. Ein Team in der Moto2-WM mit zwei Piloten kostet etwa drei Millionen Franken. Mit so viel Geld lässt sich nicht einmal ein Spitzenteam in unserer Swiss League im Eishockey finanzieren. Auch der Materialaufwand ist vergleichsweise gering.

Eine komplette Moto2-Maschine ist für rund 130000 Franken zu haben. Der Gesamtaufwand für alle drei Klassen mit 83 Piloten liegt pro Saison unter 400 Millionen. Zum Vergleich: In der Formel 1 verbrennt allein Mercedes pro Jahr mehr als 400 Millionen.

Wenn Lüthi um den Titel fährt, wird es einträglich

Der wichtigste Unterschied zu anderen globalen Sportveranstaltungen sind die verhältnismässig tiefen Saläre. Nur in der Königsklasse MotoGP gibt es siebenstellige Lohnsummen. Lediglich Valentino Rossi, Marc Marquez und Jorge Lorenzo kassieren (bzw. kassierten) mehr als zehn Millionen pro Jahr.

Nach wie vor gibt es im Fahrerlager nicht mehr als 15 Salär-Millionäre. Valentino Rossi gehört mit einem Jahreseinkommen von rund 40 Millionen zwar zu den bestverdienenden Sportlern der Welt. Aber mehr als die Hälfte dieses Geldes verdient der Doktor der Kommunikation durch Werbeeinnahmen, die nicht sein Team bezahlt.

Bei den Teams der Moto3- und Moto2-WM werden in der Regel keine Löhne im klassischen Sinne bezahlt. Ein Moto2-Team bietet 12 bis 15 Arbeitsplätze. Dieses «Dienstpersonal» (Fahrer, Techniker, Mechaniker etc.) arbeitet im Auftragsverhältnis. Es handelt sich juristisch um Selbstständigerwerbende, die dem Team Rechnung für ihre Dienste stellen.

So ist es auch bei Tom Lüthi. Er ist ein «Töff-Unternehmer» (selbstständigerwerbend) und hat einen Vertrag mit dem Team des deutschen Batterie-Herstellers Intact als Pilot.

Dazu kommen mehrere persönliche Werbeverträge mit verschiedenen Partnern. Diese Verträge basieren praktisch alle auf einem Fixum plus Erfolgsprämien. Rund 300000 Franken dürften so oder so garantiert sein.

So kann Tom Lüthi in einem guten Jahr – wenn er um den Titel und regelmässig aufs Podest fährt – mit Prämien sein Einkommen auf mehr als eine halbe Million brutto erhöhen.

Die Sponsoren sollten durch die Krise kommen

Aber wenn nicht gefahren wird, gibt es keine Prämien. Der Emmentaler arbeitet mit vielen Werbepartnern seit Jahren zusammen und es handelt sich durchwegs um Firmen, die nach menschlichem Ermessen durch die Krise kommen sollten. Sein Manager und Freund Daniel Epp sagt:

«Eine lange, vertrauensvolle Geschäftsbeziehung zahlt sich jetzt aus.»

Tom Lüthi konnte seit dem Saisonstart nie mehr mit Rennmaschinen auf einer Rennstrecke trainieren. Aber er mag die aktuelle Situation nicht dramatisieren. «Es gilt, das Beste aus der Situation zu machen.»Weiter sagt Lüthi:

«Immerhin haben wir jetzt die Aussicht, dass es Mitte Juli in Jerez endlich weitergeht.»

Er hat sich während der längsten Zwangspause seiner Karriere in seine Wohnung in Linden im oberen Emmental zurückgezogen. «Ich halte mich fit und hatte das Glück, dass ich auch während des Lockdown Zutritt zu meinem Fitnesszentrum in Lützelflüh hatte. Es wurde jeweils nur für mich geöffnet.»

Dank Erfahrung in guter Verhandlungsposition

Er muss zwar 2020 den Gürtel etwas enger schnallen. Aber das ist für ihn kein existenzielles Problem. Tom Lüthi braucht weder Glanz noch Gloria und pflegt einen vernünftigen Lebensstil, der seiner sympathisch-bescheidenen Art entspricht.

Auch um die Zukunft muss er nicht bangen. Sein Vertrag mit dem Team läuft zwar Ende Saison aus und die Krise macht die angestrebte Verlängerung um zwei Jahre nicht einfacher. Aber Tom Lüthi hat mit seiner Erfahrung und Klasse so oder so eine gute Verhandlungsposition.

«Geisterrennen» als Rettung?

Für 2020 waren in der Strassen-WM 20 Rennen geplant. Bisher ist erst der GP von Katar am 8. März ohne die Klasse MotoGP über die Bühne gegangen. Seither wurden alle Rennen gestrichen. Inzwischen sind 13 GP (Argentinien, USA, Spanien, Frankreich, Italien, Barcelona, Assen, Finnland, Deutschland, England, Japan, Thailand und Australien) abgesagt oder verschoben worden. Nun gibt es einen neuen Terminplan: am 19. und am 26. Juli sind zwei «Geister-GP» ohne Zuschauer im spanischen Jerez geplant. Aber die Zentralregierung in Madrid hat noch kein grünes Licht gegeben. Möglich sind weitere Doppel-GP mit zwei Rennen am 16. und 23. August in Spielberg (Österreich), im September in Misano und Aragon sowie Ende November zum Saisonschluss in Valencia. Dazwischen ist je ein Grand Prix in Thailand (4. Oktober), Malaysia (1. November), in den USA (15. November) und in Argentinien (22. November) geplant. Aber eine definitive Bewilligung der Behörden gibt es nach wie vor für kein weiteres Rennen in dieser Saison. (kza)