Stefan Küng steht am Sonntag zum vierten Mal an der Flandern-Rundfahrt am Start. Diesmal aber unter anderen Voraussetzungen.
Wie heisst es so schön: «Man hat nie ausgelernt!». Stefan Küng steht in seiner fünften Saison als Radprofi. Und fühlt sich momentan trotzdem ein wenig wie ein Lehrling. Das wird auch am Sonntag so sein, wenn er in Antwerpen am Start der Flandern-Rundfahrt steht. Der 25-Jährige bestreitet den Klassiker über 270 Kilometer schon zum vierten Mal. Aber er geht heuer erstmals als Teamleader ins Rennen – zusammen mit dem Franzosen Arnaud Démare. Also als der Mann, der für seine Equipe ein gutes Resultat liefern muss. Als Mann, auf den die Renntaktik ausgerichtet wird. Als Mann, der an der Spitze dabei sein muss, wenn es in der Schlussphase an den Schlüsselstellen des Parcours hektisch zu und her geht.
Da kommt eine ganze Menge zu auf den Thurgauer in Diensten des französischen Groupama-FDJ-Teams. Entsprechend sagt er: «Ich muss mit einer ganz anderen mentalen Einstellung in den Wettkampf gehen. Früher wusste ich, dass ich als Helfer einen bestimmten Job zu erledigen hatte. Wenn ich das geschafft hatte, dann war für mich das Rennen mehr oder weniger gelaufen.» Jetzt müsse er umdenken: «Mein Ziel ist es, so lange wie möglich so viel Kraft wie möglich zu sparen. Um dann im entscheidenden Moment bereit zu sein.» Das ist meistens der Augenblick, wenn vorne eine grössere Gruppe mit den Favoriten wegfährt.
Stefan Küng sagt, dass er dieses Primärziel in den bisherigen Eintagesrennen der Saison fast immer erreicht hat. Das stimmt ihn grundsätzlich zuversichtlich für die Flandern-Rundfahrt. Doch damit ist der Job des Leaders eben noch lange nicht erledigt: «Sich in der Schlussphase des Rennens an der Spitze zu behaupten, ist noch einmal eine ganz andere Aufgabe. Eine, die ich in den letzten vier Jahren eigentlich nie zu erledigen hatte. Deshalb fehlen mir da die Automatismen», gibt Küng zu bedenken. «Ich war vorne dabei. Auf dem Resultatblatt schauten aber nur Positionen zwischen Rang 15 und 20 heraus.»
Das Gespür zu entwickeln und im entscheidenden Moment am richtigen Ort zu sein, ist für Küng «ein Prozess». Etwas, das man lernen muss. «Wenn man einer der Topstars ist, der selber für die Selektion im Rennen sorgen kann, ist es einfacher. Ich gehöre momentan noch zu den Fahrern, die reagieren. Dann reicht es nicht, wenn man in den wichtigen Passagen, wenn vorne die Post abgeht, schlecht platziert ist im Feld.»
Wobei Küng in diesen Momenten, wenn es darum geht, die richtige Position im Feld zu finden, eben gerade auf seine Helfer zählen können sollte, die den Job für ihn erledigen, den er früher beim BMC-Team für seine Leader erledigte. Küng weiss aber aus eigener Erfahrung: «Es ist schwierig, sich in dieser hektischen und bisweilen chaotischen Phase immer gegenseitig zu finden.» Gerade in der Flandern-Rundfahrt mit ihren berühmten «Hellingen», diesen giftigen, meist sehr schmalen Steigungen, ist es eine Kunst, die Übersicht nicht zu verlieren.
Trotz der für ihn neuen Ausgangslage geht Stefan Küng optimistisch an die Aufgabe heran. Er ist zufrieden mit seiner Form, das Selbstvertrauen ist intakt. Weshalb er auch mit der gehobenen Erwartungshaltung zurechtkommt. Er sagt: «Ich setze mich selber am meisten unter Druck. Ich bin sehr ambitioniert und erwarte selber sehr viel von mir.» Es sei klar, dass er eine gute Leistung liefern müsse. Und vor allem gilt: «Man darf nie aufgeben. Als Teamleader habe ich eine andere Verantwortung.» Man könne es ein wenig mit der Arbeitswelt vergleichen. «Als normaler Angestellter kannst du um 17 Uhr nach Hause. Dann ist dein Job erledigt. Aber als Führungskraft kannst du das nicht machen.»