Gschobe #43
Michael Frey: Das Monster vom Bosporus

Sie stammen aus dem gleichen Dorf im Appenzellerland, sind zwischen 45 und 49, treffen sich einmal pro Woche und jassen oder spielen Boule. Pius, Qualitätsmanager, Appenzell; David, Lehrer, Speicher AR; Tobias, Consultant, Zürich; Flavio, Sozialarbeiter, Kirchberg SG; François, Journalist, Windisch.

François Schmid-Bechtel
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David: Leute, es ist Zeit, den Begriff «Mentalitätsmonster» neu zu definieren.

Pius: Ein seltsamer Begriff. Was soll ein Mentalitätsmonster überhaupt sein? Ist das einer, der eine Mentalität kaputtschlägt? Ich verstehe es nicht. Was soll überhaupt diese Diskussion?

David: Viele Fragen, eine Antwort: Michael Frey.

Pius: Okay, er hat seinen Wechsel vom FC Zürich zu Fenerbahçe Istanbul quasi erzwungen. Aber was hat dieser Transfer mit dem Begriff Mentalitätsmonster zu tun?

David: Als Frey vor etwas mehr als einem Jahr zum FCZ kam, wurde er von Trainer Uli Forte als Mentalitätsmonster bezeichnet. Damit wollte Forte verdeutlichen, dass Frey ein besonderer Spieler, ein aggressiver Leader, ein echter Wettkampftyp ist. Einer, der kein Spiel und keinen Ball verloren gibt. Einer, der sich mit dem Verein vollumfänglich identifiziert. Ein Mentalitätsmonster eben.

Flavio: Im Rückblick muss man sagen: Wäre Forte besser beim antiquierten Arbeitstier geblieben.

Tobias: Wieso?

Flavio: Nun, von Mentalitätsmonster kann wohl nicht mehr die Rede sein, wenn ein Spieler einen Transfer erzwingt, indem er, wie Frey, ein Spiel bestreikt.

François: Mag sein, aber Arbeitstier ist in diesem Kontext wohl auch nicht der richtige Ausdruck.

Flavio: Stimmt. Charakterlump trifft es wohl eher.

François: Ruhig Blut. Betrachten wir es doch mal nüchtern: Der FC Zürich kassiert für einen Stürmer, der bis dato nicht mal in den Dunstkreis des Nationalteams vorgedrungen ist, drei Millionen Franken. Und Fenerbahçe hat nun einen einzigartigen Spieler, eine echte Rarität: nämlich ein Mentalitätsmonster. Es gibt nur Gewinner bei diesem Deal.

David: Du vergisst bei der ganzen Sache den Spieler selbst.

François: Bewusst. Michael Frey kann man zum heutigen Stand nicht als Gewinner bezeichnen.

Flavio: Warum? Er soll doch in Istanbul mindestens eine Million Euro pro Jahr verdienen, also doppelt so viel wie beim FCZ.

Tobias: In der Theorie ist das gewiss so. Aber in der Praxis ...

Pius: Aber der Lohn ist doch Bestandteil des Vertrags, der von beiden Seiten unterschrieben wird.

Tobias: Es gibt etliche Beispiele von Spielern, denen in der Türkei der Lohn entweder verspätet, nicht vollständig oder gar nicht ausbezahlt wurde. Aber weisst du was? Ich habe überhaupt kein Mitleid mit diesen Spielern. Einerseits sollten sie wissen, worauf sie sich einlassen. Andererseits sind sie, wie Michael Frey beim FCZ, ja auch nicht darauf erpicht, ihre Verträge einzuhalten.

David: Kommt dazu, dass die türkische Lira sich im Tiefflug befindet, Fenerbahçe diese Saison keine Champions-League-Einnahmen verbuchen kann und darüber hinaus mit fast 200 Millionen Franken verschuldet sein soll. Ich glaube kaum, dass Fenerbahçe Frey den Lohn in Euro überweisen wird. Kurz: Es zeugt von Naivität, vielleicht sogar von Ignoranz, wenn man als Fussballer jetzt von der Schweiz in die Türkei wechselt.

Pius: Oder Frey ist eben doch ein Mentalitätsmonster. Einer, der nie zweifelt, der Hindernisse aus dem Weg räumt, der immer vom eigenen Erfolg überzeugt ist.

Flavio: Frey, das andere Monster vom Bosporus?