Startseite
Sport
Fussball
Der SRF-Moderator patzte ausgerechnet in der 52. Minute des WM-Endspiels. Für seine Bemerkung, die aufs Feld gestürmten Aktivisten von Pussy Riot landeten in sibirischen Straflagern, wurde er scharf kritisiert. Dabei war die Aussage näher bei der Wahrheit, als manche denken.
Das Endspiel der diesjährigen Fussballweltmeisterschaft hatte für SRF-Kommentator Sascha Ruefer ein Nachspiel – mindestens in den sozialen Medien. Enervierte Zuschauer schimpften da in allen Tonlagen über den Fernsehjournalisten. Grund für die blanken Nerven bei der SRF-Zuschauerschaft war Ruefers Kommentar über die Aktivisten der russischen Feminismus-Gruppierung "Pussy Riot", die in der 52. Minute des Spiels Frankreich gegen Kroatien aufs Feld im Moskauer Luschniki Stadion stürmten.
"Ich würde mir ja vieles zutrauen, aber ich würde nie im Leben in Russland aufs Spielfeld rennen", rief Ruefer voller Erstaunen über die Flitzer-Aktion ins Mikrofon. "Die vier, die hier aufs Spielfeld gerannt sind, die werden ab Montag irgendwo in Sibirien Steine klopfen, für ganz lange Zeit."
Nach 16,5 WM-Spielen, die Ruefer bis zu diesem Zeitpunkt souverän kommentiert hatte, floppte der Kommentator also ausgerechnet im WM-Endspiel. Gabriela Suter, Präsidentin der Aargauer SP, kommentierte Ruefers Ausrutscher auf Twitter mit den Worten „unterirdisch, ignorant, erschreckend". Der Tessiner CVP-Ständerat Filippo Lombardi, der die Parlamentarische Gruppe Schweiz-Russland präsidiert, meinte auf Anfrage: "Das kann man gut unter Freunden an der Bar sagen. Vielleicht aber nicht gerade in einer Fernsehsendung eines nationalen Senders."
Sascha Ruefer selbst scheint auch nicht eben stolz zu sein auf seinen Moderatoren-Leistung. Gegenüber dieser Zeitung sagte er: "Ich war überrascht von dieser Flitzer-Aktion im WM-Final unter den Augen Putins. Ich kann aber nachvollziehen, wenn mein spontaner Kommentar als unsensibel empfunden worden ist, was mir leid tut."
Ganz anders als Ruefer werteten die amerikanischen Medien die Aktion der russischen Feministinnen. Statt über das Strafmass nachzudenken, lobten sie die vier Flitzer für ihren Mut. Das Magazin "The New Yorker" etwa schrieb, die Flitzer hätten der ansonsten politisch tauben WM doch noch einen bedeutsamen Protest gegen Putins Regime hinzugefügt. „Pussy Riot“ bekannte sich kurz nach dem Spiel zu der Aktion und forderte die Freilassung der politischen Gefangenen in Russland, das Ende der Festnahmen von Protestierenden und mehr politischen Wettbewerb im Land.
Die vier Aktivisten (drei Frauen und ein Mann) wurden von der Polizei abgeführt. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax drohen ihnen allerdings keine Jahre im Arbeitslager, sondern lediglich Verwaltungsstrafen in der Höhe von rund 200'000 Rubel (umgerechnet rund 3000 Franken) oder 160 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
Ganz daneben lag Ruefer mit seinem sibirischen Faux-Pas dann aber doch nicht. Die russische Gefängnisbehörde FSIN hat Anfang des vergangenen Jahres nämlich tatsächlich vier neue "Besserungszentren" und sieben Zwangsarbeitszentren eröffnet – unter anderem in Sibirien. Die Gefängnisse in Russland sind notorisch überfüllt. Ausser den USA bringt kein anderes Land der Welt prozentual so viele Personen hinter Gitter wie die Russen, weshalb man die Suche nach alternativen Strafformen in den vergangenen Jahren intensiviert hatte. Jeder 220. Russe sitzt im Gefängnis. Zum Vergleich: in der Schweiz war es bei der letzten Messung Ende 2015 jeder 1220te.
Die neuen sibirischen Strafzentren sind allerdings keine brutalen Steinklopf-Minen mehr, wie sie noch zu Stalins Zeiten in der Sowjetunion existierten. Nach Schätzungen von Historikern schufteten in diesen sowjetischen Lagern bis zu 30 Millionen Menschen unter härtesten Bedingungen. Rund 2,7 Millionen Menschen kamen in den russischen Gulags (Abkürzung für "Glawnoje uprawlenije isprawitelno-trudowych lagerej i kolonij", übersetzt etwa "Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und –kolonien") ums Leben. Steine klopft in Sibirien heute aber niemand mehr. Die Sträflinge erledigen Putzarbeiten oder werden zum Sozialdienst in die Städte geschickt.