Die Schweiz steht vor ihrem bisher wichtigsten WM-Spiel: der Viertelfinal gegen Kanada. Gegen die Nummer 1 der Weltrangliste haben sich Nationaltrainer Patrick Fischer und sein Team einiges vorgenommen.
Es spricht für die Mentalität in der Schweizer Delegation, dass man sich hohe Ziele setzt. Nationaltrainer Patrick Fischer wurde im Verlauf der bisherigen zwei WM-Wochen nie müde zu betonen, dass das Erreichen des Viertelfinals zwar schön ist und gleichbedeutend mit der Erfüllung der selbst auferlegten Pflicht. Aber die Erwartungshaltung ist inzwischen eine andere. Und der nächste anvisierte Meilenstein klar: Am Freitag soll die Rückreise nach Bratislava erfolgen, um sich für den Halbfinal vom Samstag vorzubereiten. Und nicht, um den Transfer direkt zum Wiener Flughafen und damit die Heimreise anzutreten.
Der Gegner, der sich den Schweizer Ambitionen heute Nachmittag (16.15 Uhr, SRF 2) in den Weg stellt, heisst Kanada. Ein harter Brocken. Aber eigentlich ist es egal, welches Team in diesem Viertelfinal in Kosice auf der anderen Seite steht. Die Mannschaft ist inzwischen selbstbewusst genug, um sich mehr auf die eigenen Stärken zu besinnen, als in Ehrfurcht vor dem Kontrahenten zu erstarren. Auch wenn die letzten drei WM-Spiele gegen die «grossen» Teams aus Schweden (3:4), Russland (0:3) und Tschechien (4:5) verloren gingen, dürfen die Schweizer mit einem gesunden Selbstvertrauen in das Duell gegen die Kanadier gehen.
Die Erfahrung der letzten zwei Wochen hat gezeigt, dass die Mannschaft an einem guten Tag mit jedem Gegner auf Augenhöhe agieren kann. Gegen die in der Weltrangliste hinter den Schweizern klassierten Teams tat sich bisweilen ein deutlicher Klassenunterschied auf. Und sogar gegen die übermächtigen Russen gab es Phasen, in welchen die Schweiz die «Sbornaja» in Verlegenheit brachte. «Fakt ist: Spielen wir einfach und konsequent, sind wir megagefährlich. Spielen wir kompliziert und nehmen zu viel Risiko, laufen wir der Scheibe hinterher», umschreibt Patrick Fischer die Faktoren, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Klar ist, dass die Schweizer ihre Probleme im Powerplay endlich in den Griff bekommen müssen. Man redet jetzt schon fast zwei Wochen über die Unfähigkeit des Teams, die Überzahlsituationen auszunutzen. Die Erfolgsquote ist mit 11,4 Prozent jämmerlich. Umso mehr, als die Schweiz das Team war, welches mit Abstand am meisten Überzahl spielen durfte. Spätestens jetzt müssen die Pucks rein. Zumal die Kanadier mit einer sagenhaften Erfolgsquote von über 50 Prozent (!) diesbezüglich bisher das Mass aller Dinge waren an diesem WM-Turnier.
Im Abschlusstraining der Schweizer, die am Mittag die gut fünfstündige Zugfahrt von Bratislava nach Kosice absolviert hatten, war nicht genau ersichtlich, mit welchen Sturmformationen die Mannschaft heute auflaufen wird. Man darf davon ausgehen, dass Fischer nicht schon wieder alles auf den Kopf stellen wird. Im Tor dürfte mit grösster Wahrscheinlichkeit Leonardo Genoni stehen, der zuletzt zweimal herausragende Leistungen gezeigt hat gegen die Kanadier. In der Verteidigung ist der Einsatz von NHL-Verteidiger Yannick Weber fraglich. Der 30-Jährige hatte im Spiel gegen Tschechien einen hässlichen Crosscheck an den Hals einstecken müssen und spürte noch am Mittwoch die unerfreulichen Folgen.
Patrick Fischer unterstrich am Abend vor dem Viertelfinal noch einmal, dass seine Mannschaft die Übermotivation des letzten Spiels abstreifen muss. «Das darf uns nicht mehr passieren.» Energiespielern wie Tristan Scherwey kommt in so einem entscheidenden Spiel trotzdem eine Schlüsselrolle zu. Der SCB-Stürmer sagt: «Jetzt zählt nur noch eins: Wir wollen für die Halbfinals um jeden Preis nochmals nach Bratislava zurückkehren. Jetzt heisst es: Halbfinal oder Strand! Und der Strand kann warten.»
Man kann nicht sagen, dass man in Kanada in Euphorie ausgebrochen ist, als bekannt wurde, dass man im Viertelfinal gegen die Schweiz antreten muss. Ein Blick auf die letzten fünf WM-Vergleiche zwischen den beiden Mannschaften zeigt, dass die Bilanz der Schweizer gegen die Nummer 1 der Weltrangliste positiv ist. Dreimal ging man als Sieger vom Eis – zuletzt im Vorjahr im Halbfinal. Auch deshalb haben die Kanadier eine offene Rechnung mit ihrem Angstgegner. Man darf also davon ausgehen, dass die Canucks diese Aufgabe mit der gebotenen Ernsthaftigkeit angehen werden. Trotzdem sind die Chancen der Schweizer besser als noch im Vorjahr, einen weiteren Coup zu landen. Ein Blick auf die Kaderliste der Kanadier zeigt, dass man die ganz grossen NHL-Stars heuer vergeblich sucht. Nach der verletzungsbedingten Abreise von Toronto-Superstar John Tavares erst recht. Mark Stone und Jonathan Marchessault von den Vegas Golden Knights gehörten in der Vorrunde zu den offensiven Triebfedern. Sowieso liegt die Stärke der Kanadier eher in der Abteilung Attacke. Auf der Goalieposition und in der Verteidigung sucht man vergeblich nach Prominenz. Aber das muss ja nichts heissen. (ku)