Auto einweisen als WM-Perspektive

Schweizer Biathlon-Nationalkader startet dank den Heim-Titelkämpfen 2025 mit Extramotivation in die Saison.

Rainer Sommerhalder
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Niemand verkörpert Biathlon besser als Selina Gasparin. Die 36-Jährige debütierte vor 15 Jahren als erste Schweizerin im Weltcup, schaffte 2013 die Schweizer Premiere eines Weltcupsiegs und gewann ein Jahr später in Sotschi olympisches Silber. Die älteste der drei Gasparin-Schwestern schrieb die Erfolgsgeschichte lange alleine, animierte letztlich aber eine ganze Nordisch-Generation für den Sport und findet sich heute als Mitglied eines starken und breit aufgestellten Teams wieder, das sowohl bei der Elite wie auch im Nachwuchs zuletzt erfreuliche Akzente setzte.

Vor kurzem folgte für die aufstrebende Disziplin im Skiverband ein weiterer Höhepunkt: die Vergabe der Weltmeisterschaft 2025 nach Lenzerheide. Beinahe so etwas wie ein Vermächtnis von Selina Gasparin. Grund genug für sie und den Teamsenior bei den Männern, der 31-jährige Obergomser Benjamin Weger, das Karriereende hinauszuzögern? «Nein», sagt Gasparin, «Vielleicht weise ich an der WM Autos ein, vielleicht coache ich dann die Schweizer Athleten, vielleicht kommentiere ich die Rennen im Fernsehen, vielleicht organisiere ich diese Titelkämpfe vor meiner Haustüre sogar. Aber ich werde mit Sicherheit nicht mehr als Athletin daran teilnehmen».

Körperlich in Topform – und beim Schiessen?

Und überhaupt: «Die Schweizer Athletinnen von 2025 werden viel besser sein, als ich es je gewesen bin». Es ist nicht das einzige Versprechen der zweifachen Mutter für die Zukunft. Das zweite betrifft sie selber. Bei den Leistungstests in Magglingen war die Engadinerin jüngst so stark wie nie. Sie relativiert: «Leistungstests haben nur begrenzte Aussagekraft. Du weisst dort, was du für einen neuen Rekord tun musst und zählst quasi die Sekunden runter, bis er erreicht ist. Sie garantieren noch keine Spitzenleistungen im Wettkampf».

Und beim Leistungstest wird nicht geschossen. Die Unkonstanz am Schiessstand ist seit Jahren die grösste Baustelle in Gasparins Leistungsvermögen. Im vergangenen Winter war ihre Darbietung mit dem Gewehr in den Staffelrennen stets Weltklasse, in einigen Einzelrennen aber zum Vergessen. Die Grenzwächterin wünscht sich für die am Wochenende beginnende Weltcupsaison folglich weniger Achterbahnfahrt und mehr Flexibilität im Kopf. «Ich will jedem Rennen wieder eine neue Chance geben», sagt sie. Trainerin Sandra Flunger sagt über ihre Teamleaderin, sie sei «unglaublich ehrgeizig».

Dank der WM-Vergabe in die Schweiz auch extra motiviert. Sie freut sich für ihre Sportart: «Wir werden heute als Trendsport und nicht mehr als Randsport wahrgenommen.» Wann genau für sie Schluss sein wird, will Gasparin spontan entscheiden. Sie habe sich auch noch nicht entschieden, ob sie 2022 bei den Olympischen Spielen in Peking noch dabei sei. Es soll keine Saison als Abschiedstournee geben. «Das würde mich höchstens melancholisch machen und das will ich nicht».

Benjamin Weger und der lange Weg zurück

Durchaus ein wenig melancholisch blickt Benjamin Weger auf die vergangenen Monate zurück. Weil seine Leistungen nicht stimmten, brach er die Saison 2019/20 vorzeitig ab und reiste für drei Wochen nach Neuseeland. Den Kopf so richtig freibekommen, nachdem er zuvor während Monaten wohl im Zustand eines fortwährenden Übertrainings von Rennen zu Rennen tingelte und vergeblich der Traumform des Vorwinters nachjagte. Die Ursache soll bei zu vielen Höhentrainingslagern gelegen haben.

Insgesamt nahm sich der 31-Jährige zwei Monate komplett vom Biathlon frei. «Ich war so richtig glücklich, endlich einmal Zeit für mich zu haben», sagt Weger. Die Quittung folgte im Sommertraining, als der Oberwalliser realisiert, wie sehr die längste Trainingspause seiner Karriere nachhallte. Er sei bis zum Ende des Sommers nie auf ein einigermassen vernünftiges Level gekommen. «Erst in den letzten Wochen gab es Fortschritte. Wo genau ich beim Saisonstart aber stehe, kann ich nicht sagen.»

Der neue Trainer Alexander Wolf sieht den aktuellen Formstand von Weger optimistischer als der Athlet selbst: «Beni ist bereits wieder der bestimmende Mann im Team». Ob er dies über die Olympiasaison hinaus und vielleicht sogar an der WM von 2025 noch sein wird, will Weger nicht vorhersagen. «Ob die Heim-WM für mich passt, kann ich noch nicht versichern», formuliert es der Walliser defensiv. Gut möglich, dass ihn die biathlonlose Zeit mit seiner Freundin im Frühjahr auf einen anderen Geschmack gebracht hat. Denn Weger sagt rückblickend: «Biathlon hat mich in dieser Zeit nicht interessiert».