Analyse
Trotz Platz 2 in der Ski-Nationenwertung: Uns die Glanzlichter, den Österreichern das Mittelmass

Nach zwei Jahren ist es wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Österreichs Ski-Team überflügelt die Schweiz und schliesst die Saison mit 257 Punkten Vorsprung auf Platz 1 in der Nationenwertung ab. Trotzdem war es ein grossartiger Winter unserer Skifahrerinnen und Skifahrer.

François Schmid-Bechtel
François Schmid-Bechtel
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Der Alleskönner: Marco Odermatt mit der grossen Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup.

Der Alleskönner: Marco Odermatt mit der grossen Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup.

Urs Flüeler/EPA

Bevor wir als Kinder die Hauptstadt Österreichs kannten, wussten wir, dass Peter Müller zu den Guten und Harti Weirather zu den Schlechten gehört. Man kann von dieser Art der Sozialisierung halten was man will. Aber diese ewige Rivalität zwischen der Schweiz und Österreich, ist ein Stück weit Elixier des Skisports. Also behalten wir die Nationenwertung stets im Blick.

Was war das für eine Genugtuung, von Platz 1 auf die Österreicher herunterzuschauen. Doch mit dieser Herrlichkeit ist es nach nur zwei Jahren vorbei. In dieser Saison überflügelt uns der Bundesadler, ohne dabei besonders hoch zu fliegen. Das ist bedenklich. Schliesslich können wir nicht auf Marcel Hirscher verweisen, der allein die Schweiz über Jahre in den Untergrund gefahren hat. Der Hirscher ist 2019 zurückgetreten – Gerüchte um ein Comeback entpuppten sich bis heute glücklicherweise als leere Drohungen.

Die Niederlage in der Nationenwertung schmeckt noch bitterer, weil der Überflieger der Szene kein Adler mehr ist, sondern ein Nidwaldner: Marco Odermatt. Nichts gegen Odi - Jessesgott. Zauberhaft. Bombastisch. Phänomenal. Ein Ski-Wunder. Und trotz dieses Geschenks aus Buochs sehen wir die Österreicher nicht mehr im Rückspiegel, sondern durch die Frontscheibe.

Allen Widrigkeiten getrotzt: Michelle Gisin (links) holt Gold in der Olympia-Kombination, Wendy Holdener (rechts) belegt Platz 2.

Allen Widrigkeiten getrotzt: Michelle Gisin (links) holt Gold in der Olympia-Kombination, Wendy Holdener (rechts) belegt Platz 2.

Jean-Christophe Bott/Keystone

Ein Grund: Das Verletzungspech bei den Frauen

Wer nach den 257 Punkten Rückstand sucht, findet sie rasch bei den Frauen. Lara Gut-Behrami hat 592 Punkte weniger geholt als letzte Saison. Auch Michelle Gisins Ausbeute war nicht mehr ganz so üppig. Für Wendy Holdener ist wie immer eine Saison ohne Slalom-Sieg zu Ende gegangen. Und Corinne Suter hat – auf hohem Niveau – stagniert.

Aber es gibt plausible Gründe. Gut-Behrami hat wegen Krankheit und Verletzung acht Rennen verpasst. Gisins Saisonvorbereitung war wegen des Pfeifferschen Drüsenfiebers ein Desaster. Auch Holdener und Suter waren verletzt. So betrachtet muss man konstatieren: Ihr seid Heldinnen. Gut-Behrami, Suter und Gisin kehrten mit Gold von Olympia zurück, Holdener mit Silber und Bronze.

Ausserdem haben bei den Frauen Athletinnen ein Feuerwerk gezündet, die für gewöhnlich einen grossen Bogen ums Podest machen. Priska Nufer mit ihrem ersten Weltcupsieg – und das erst noch in der Heimabfahrt von Crans-Montana. Jasmine Flury mit Platz 2 in der Abfahrt von Garmisch.

Experten trauten Loïc Meillard den Zweikampf mit Marco Odermatt um die grosse Kristallkugel zu. Die Realität sieht aber ernüchternd aus für Meillard.

Experten trauten Loïc Meillard den Zweikampf mit Marco Odermatt um die grosse Kristallkugel zu. Die Realität sieht aber ernüchternd aus für Meillard.

Urs Flüeler/Keystone

Ein anderer Grund: Loïc Meillard und das Slalom-Team der Männer

Die 257 Punkte Rückstand auf Österreich könnte man auch bei den Männern finden, obwohl sie 23 Punkte mehr gewonnen haben als die Konkurrenz aus dem Osten. Klar, bei Marco Odermatt (1639 Punkte) gibt es nicht mehr viel Luft nach oben.

Aber LoÏc Meillard hat eine ernüchternde Saison hinter sich. Kein Sieg, 227 Punkte weniger als letzte Saison. Dabei prognostizierten Experten, Meillard würde sich ein Duell mit Odermatt um den Gesamtsieg liefern. Nun aber scheint, als würde die sagenhafte Entwicklung des ein Jahr jüngeren Nidwaldners Meillard zu viel zu denken geben.

Uns stimmen indes die Darbietungen der Slalom-Männer nachdenklich. In einer Jekami-Saison, in der selbst die Briten ihren ersten Weltcupsieg überhaupt feiern, steht kein Slalom-Athlet von Swiss Ski je zuoberst auf dem Podest. Symbolhaft der Slalom von Garmisch-Partenkirchen. Nach dem ersten Lauf führt Meillard vor Ramon Zenhäusern. Tanguy Nef und Daniel Yule liegen zeitgleich auf Platz 11. Nach zwei Läufen ist Fadri Janutin auf Rang 17 der bestklassierte Schweizer. Noch Fragen?

Die Breite. Selbst das Staatsradio begründet den Sieg Österreichs in der Nationenwertung damit, dass unsere Nachbarn eine grössere Breite in den Kadern hätten. Das ist Blödsinn. Für die Schweiz fuhren 25 Männer und 20 Frauen in die Weltcuppunkte. Bei den Österreichern je 22 Athletinnen und Athleten.

Mehr Weltcup- und Olympiasiege - wir sind irgendwie doch die Nummer 1

Sowieso: Was kümmert uns die Nationenwertung. Wir haben mehr Olympia- und mehr Weltcupsiege als die Österreicher. Und wir haben Marco Odermatt. Den Gewinner der wichtigsten Auszeichnung, der Gesamtwertung. Apropos Kristallkugel. Die Österreicher haben keine, nicht mal eine kleine für einen Disziplinen-Sieg. Das ist mittelmässig.