Judo
Direkt aus Estland: Aleksei Budolin ist mit seiner Familie in die Schweiz gezogen, um als Nationaltrainer die Schweizer Judokas auszubilden

Käse, Schokolade, Berge – die typischen Schweizer Klischees tauchen auch in den Köpfen der Familie Budolin/Toots auf, als sie sich entschliesst, ihre Heimatstadt in Estland zu verlassen und in die Schweiz zu ziehen. Sieben Monate ist es mittlerweile her, dass man sich mit Sack und Pack nach Brugg (AG) verabschiedet hat, und für Aleksei Budolin, seine Frau Ilona Toots (43) und ihre beiden Kinder Aleksander (4) und Malena (17) hat ein neues Leben begonnen.

Delia Hottinger
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Ein neues Leben im Aargau für den Judosport: Aleksei Budolin mit seiner Frau Ilona Toots (43) und ihren beiden Kindern Aleksander (4) und Malena (17).

Ein neues Leben im Aargau für den Judosport: Aleksei Budolin mit seiner Frau Ilona Toots (43) und ihren beiden Kindern Aleksander (4) und Malena (17).

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Aleksei Budolin war früher einmal erfolgreicher Judoka, gewann zahlreiche EM- und WM-Medaillen und sogar Olympia-Bronze, bevor er nach 25 Jahren beschloss, das Judo an den Nagel zu hängen – zumindest, was die Karriere als Sportler angeht. Sein Trainer rät ihm damals, es doch selbst einmal als Coach zu versuchen. «Er hat mir gesagt, dass ich Potenzial hätte und ein guter Trainer sein könnte», erzählt Budolin. «Also habe ich mir gedacht: Wieso auch nicht?»

Er habe sich dem Judo nach seinem Karriereende nach wie vor verbunden gefühlt und wollte den jungen Athleten seine Erfahrung und sein Wissen weitergeben. So begann er als Trainer der Junioren, arbeitete sich auf seinem Weg weiter nach oben, bis er als Nationaltrainer das estnische Team trainierte. Doch schliesslich kam er an einen Punkt, an dem es nicht mehr weiterging. «Die Möglichkeiten in Estland waren begrenzt. Ich wusste: Will ich mich noch weiter entwickeln, dann muss ich das an einem anderen Ort machen.»

«Move out to move up»

So beginnt Budolin, sich nach einer neuen Stelle umzusehen. Der Zufall: Zur gleichen Zeit startet auch der Schweizerische Judo & Ju-Jitsu Verband die Suche nach einem neuen Trainer für das Nationale Leistungszentrum (NLZ) in Brugg. «Ich vertrete die Philosophie, dass nichts ohne Grund geschieht», sagt Budolin dazu. Ein Freund von ihm kennt auch den Cheftrainer des NLZ, Giorgio Vismara. «Die Welt ist manchmal so klein», lacht Budolin. Auf Anfrage von Vismara geht er in die Schweiz und einigt sich mit dem Schweizer Judoverband schnell auf einen Vertrag. Für Budolins Familie bedeutet das: Umzug.

Von Estland in die Schweiz – eine grosse Umstellung. Vor allem Tochter Malena hatte damit zu kämpfen. «Ich war lange Zeit gegen den Umzug», erzählt die 17-Jährige. Schliesslich befand sich ihr ganzes Leben in Estland. «Meine Freunde, die Schule, den Sport – ich musste alles zurücklassen.» Auch die Sprache sei ein grosses Problem gewesen: «Mein erster Schultag war furchtbar, ein totaler Schock. Ich habe nichts verstanden«, sagt sie. Mittlerweile hat sich Malena aber eingelebt – «die Schweiz gefällt mir jetzt sogar besser als Estland», verrät sie.

Schweizer Wetter sorgt für Begeisterung

Und haben sich die Klischees bestätigt? «Käse, Schokolade, die Berge – das stimmt schon», schmunzelt Mutter Ilona Toots. «Aber die Schweiz hat auch einige Überraschungen für uns bereitgehalten.» Allen voran das «Schwiizerdütsch»: «Wir wussten nichts über diese Sprache. Es stellte sich heraus, dass sie extrem schwierig ist!», erzählt Toots. Etwas Neues sei auch die tägliche Papierpost – «das gibt es in Estland nicht. Dort geschieht alles nur online», erklärt Toots. Und sogar das Schweizer Wetter sorgt bei der Familie für Begeisterung: «Bei uns gibt es immer kalten Wind und wir sehen die Sonne manchmal für drei Wochen nicht – das Wetter hier ist super», sind sich alle einig.

Ob sie denn ihr Heimatland nicht vermissen würden? «Es ist ja nicht so, dass wir aus Estland flüchten mussten», meint Toots. «Vom Wetter einmal abgesehen gab es nichts Schlechtes dort. Wir werden das Land daher immer lieben.» Trotzdem stimmen alle überein, dass der Umzug in die Schweiz die richtige Entscheidung war: «Es hat frischen Wind in unser Leben gebracht. Wir haben hier ein neues Kapitel begonnen und mögen es», sagt Budolin.

Konkrete Ziele noch unklar

Mittlerweile hat sich auch am neuen Heimatort so etwas wie ein Alltag eingependelt. Während seine Frau noch auf der Suche ist nach einem neuen Job, arbeitet Budolin nun als Vollzeittrainer der Nationalmannschaft und der Kategorie U23. Vorgesehen ist ein Sechsjahresvertrag bis zu den Olympischen Spielen 2024. «Es ist eine grosse Herausforderung für mich», meint Budolin. «Aber ich freue mich darauf und werde alles geben.» Der Verband in der Schweiz sei viel professioneller und organisierter und auch die Teams seien grösser. «Hier kann ich mich weiterentwickeln», ist er überzeugt.

Was konkrete Ziele für die Zukunft angeht, da könne er im Moment noch nicht viel dazu sagen. «Klar träumt man auch als Trainer davon, dass die eigenen Judokas einmal eine Olympia-Medaille gewinnen. Aber ich mag keine spezifischen Ziele. Jeder meiner Judokas ist anders, und ich will für jeden den richtigen Weg finden, sein Potenzial voll auszuschöpfen.» Das Maximum aus seiner Gruppe herausholen – das sei sein Ziel. «Wenn das passiert ist – dann werden wir sehen, was alles möglich ist», meint Aleksei Budolin.