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Am 4. Januar vor zehn Jahren wurde in der St.-Ursen-Kathedrale ein Brandanschlag verübt. Der Kirchgemeindepräsident Karl Heeb blickt zurück.
Es gibt Ereignisse, die sind so emotional, die brennen sich förmlich ins Gedächtnis ein. Für Karl Heeb ist der 4. Januar 2011 ein solcher Tag. Vielleicht liege dessen Präsenz aber auch daran, dass er viele Male von diesem Tag erzählt habe, so die alternative Erklärung des Solothurner Kirchgemeindepräsidenten. Und Karl Heeb tut es noch mal: erzählen von jenem 4. Januar 2011 und dessen Folgen. Anlässlich dessen, dass sich das Ereignis heute zum zehnten Mal jährt.
«Es war ein Dienstag, damals war ich noch nicht pensioniert und arbeitete im Wallierhof in Riedholz, als ich einen Anruf aus der Solothurner Kirchgemeindeverwaltung erhielt.» Es habe einen Brandanschlag in der St.-Ursen-Kathedrale gegeben. «Erzähl nicht solche Sachen», habe er im ersten Moment erwidert.
Was passiert ist: Um 10 Uhr hat ein damals 61-jähriger Mann zwei Kanister Benzin beim Altar der St.-Ursen-Kathedrale auf einen Teppich geleert und entzündet. Der Altar brannte lichterloh. Doch nach lediglich 12 Minuten war das Feuer gelöscht, was dem Zufall zu verdanken war.
Als die Meldung vom Brandanschlag bei der Feuerwehr einging, war dessen Kommandant ganz in der Nähe. «Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das Feuer auf die nahen Weihnachtsbäume übergegriffen hätte», sagt Heeb heute. Trotz des Glücks war der verursachte Schaden riesig. Mehrere 100'000 Franken, so schätzte die Kantonspolizei noch am selben Tag. Die definitive Schadensumme betrug letztlich 3,5 Millionen Franken. Das Problem war die immense Rauchentwicklung, und damit die Russpartikel, die sich in jeder Nische der Kirche eingenistet hatten.
«Als ich in die Kirche kam, war überall stockdicker Rauch», erinnert sich Heeb, und alle Oberflächen seien mit einem öligen Film überdeckt gewesen. Mit einem Gebläse versuchte man, den Rauch herauszublasen, vergebens. Der Rauch stieg unter das Gewölbe der Kathedrale, konnte nicht abziehen. «So riefen wir den Dachdecker an», erzählt Heeb. Dieser schlug eines der Fenster der Kuppellaterne ein, für die nächsten Minuten stieg Rauch aus der Kathedrale, als ob sie einen Kamin hätte.
Nach dem ersten Schock drehte sich alles um den Versuch, den bevorstehenden Grossanlass zu retten: Am 16. Januar sollte in der St.-Ursen-Kathedrale der damals neue Bischof Felix Gmür geweiht werden, ein Highlight für die Römisch-katholische Kirchgemeinde Solothurn. Auf Brandspuren spezialisierte Reinigungsinstitute wurden angefragt, ob sie bis dahin die Kirche zumindest auf Mannshöhe reinigen könnten. Letztlich scheiterte der Rettungsversuch an den Orgeln.
«Gegen den Abend kam der Orgelbauer vorbei, überprüfte die beiden Orgelanlagen», berichtet Heeb. Bei beiden nahm er einige Orgelpfeifen heraus und stellte fest, dass der Russ bis zu den Klangkörpern im Innern der Pfeifen eingedrungen ist. «Auf keinen Fall mehr darauf spielen», so dessen Fazit. «In diesem Moment fiel mir der Laden runter», erzählt Heeb.
«Ich habe nur noch geweint, habe gewusst, dass sich damit die Bischofsweihe erledigt hat.» Diese fand schliesslich in der Kirche St. Martin in Olten statt. Ein Umstand, den Heeb heute nicht mehr bedauert. Denn, auch wenn die Orgel bespielbar gewesen wäre, der Anlass hätte unmöglich in der Kathedrale durchgeführt werden können: «Noch Wochen danach hielt sich der beissende Brandgeruch. Das hätte niemand zweieinhalb Stunden ausgehalten.»
Damit war der Zeitdruck weg, eine Schnellreinigung war nicht mehr nötig, «und es kam der Shutdown», sagt Heeb, die Kirche blieb vorerst für Gottesdienste und Besucher geschlossen. In den Fokus rückte jetzt die nachhaltige Beseitigung der Brandschäden, wobei sich das Team rund um Heeb schnell einig war, dass gleich mehr gemacht werden soll. Es war damals bereits 40 Jahre her, dass ein Teil der Kirche wieder in Stand gestellt worden war. «Da sowieso das ganze Kirchenschiff eingerüstet werden musste, drängte sich eine Totalsanierung gerade zu auf», sagt Heeb.
Das einmal aufgebaute Gerüst bot Zugang zu Orten, an die man sonst nicht so nah herankommt. Beinahe bis ganz hinauf zur Kuppellaterne konnte man klettern, sich die Malereien an der Decke einmal von Nahem anschauen. Ein Anblick, den die Kirchgemeinde nicht nur den Arbeitern vor Ort und den Vorstandsmitgliedern ermöglichen wollte, und so wurde begonnen, Führungen über das Gerüst anzubieten. 3000 Personen waren es bis zum Schluss. «Einige mussten nach der Hälfte wegen Höhenschwindel umkehren», erinnert sich Heeb.
Auf diesen Führungen wurde auch gezeigt, wie die Brandspuren von den Wänden und Ornamenten entfernt werden. Im Vorfeld wurden drei Verfahren getestet. Doch im Vergleich zu innovativeren Methoden wie dem Sandstrahlergebläse mit Eiskristallen oder einer abziehbaren Latexmischung brachte die Handreinigung das beste Ergebnis.
«Zuerst wurden die Wände abgesaugt, dann mit einer Art Radiergummischwamm geputzt und zu guter Letzt mit einem gewöhnlichen Wandtafelschwamm feucht gereinigt», erzählt Heeb, der noch heute fasziniert davon ist, wie gut dies funktionierte. Als die Verantwortlichen der Kirchgemeinde sich nach dem Putzen für einen Weiss-Farbton für die anstehenden Malerarbeiten entscheiden sollten, strahlte die Kirche derart im neuen Glanz, «dass wir uns sagen mussten, für was noch Malen? Genau so soll die Kirche aussehen.» Und so kommt es, dass die St.-Ursen-Kathedrale nach der Sanierung wieder so aussieht, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Statt bis zu sechs Schichten Farbe sieht man jetzt wieder die Originalsubstanz. Und der angebrannte Eichholzaltar, den Heeb liebevoll «armer Kerli» nennt, wurde durch einen 7,8 Tonnen schweren Marmoraltar ersetzt, der immer so aussieht, als würde ein Tischtuch auf ihm liegen.
Ende September 2012 war die Sanierung, die insgesamt über 8 Millionen Franken kostete, abgeschlossen. Die Kirchgemeinde musste eine Million Franken selber aufbringen. Denn das meiste war durch die Versicherungen, Beiträge von Bistumskantonen, Stadt Solothurn, Bistum Basel und Organisationen sowie Spendengelder gedeckt. Die Renovationsarbeiten liefen ohne Zwischenfall ab, was Karl Heeb noch heute freut, wobei: «Ein Unfall hat es gegeben. St.Ursus hat seinen ausgestreckten rechten Arm gebrochen.»
Eine Gipsfigur des Solothurner Schutzpatrons steht in einer Nische im Chorraum. Von dessen Verletzung sieht man heute genauso wenig wie von den ehemaligen Brandschäden in der St.-Ursen-Kathedrale. Wobei: Wer gut hinaufschaut, der kann ganz oben eine Gipsblume entdecken, deren Blätter noch russgeschwärzt sind. Ganz bewusst: eine Erinnerung an die Ereignisse vor zehn Jahren. An jenen 4. Januar 2011.