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Marie-Christine Egger (59) durfte am Freitagabend den diesjährigen Heimatschutzpreis des Kantons Solothurn entgegen nehmen. Wir haben eine Frau, die ihre Leidenschaft für die Geschichte mit Leib und Seele lebt, zu einem Kaffee getroffen.
Es gibt eine Persönlichkeit, die oft in Kostümen verschiedener Epochen in Solothurns Gassen anzutreffen ist. Sei es als Kelto-Römerin, Marketenderin, Nachtwächter oder Barock-Adlige: Immer steckt die 59-jährige, selbstständig arbeitende Stadtführerin Marie-Christine Egger dahinter, die – umstellt von einer interessierten Gruppe – Geschichtliches, Geheimnisse und Anekdoten aus unterschiedlichen Zeiten der Solothurner Geschichte verrät.
«Der Solothurner Heimatschutz würdigt mit seinem Preis das ausserordentliche Engagement von Marie-Christine Egger für den Erhalt und die Vermittlung des kulturhistorischen Erbes der Stadt Solothurn während der vergangenen 30 Jahre – mögen noch viele Geschichten folgen». Mit diesen Laudatio-Worten begründet der Solothurner Heimatschutz die diesjährige Preisvergabe an Marie-Christine Egger. Die äusserst gut besuchte Preisverleihung fand gestern Abend im Kunstmuseum Solothurn statt. (frb)
Vieles in ihrem Leben sei Zufall, sagt Marie-Christine Egger beim Kaffeetrinken im «Hofer» in Solothurn; auch dass sie Stadtführerin geworden ist. Sie selbst bezeichnet sich lieber als Theaterführerin, denn ihre Stadtführungen ähneln tatsächlich eher einem Schauspiel.
«Alles begann an der Solothurner Fasnacht vor mehr als 30 Jahren», erzählt sie. «Ich traf in den frühen Morgenstunden einen Mann, der mir erzählte, dass er Stadtführer sei. Das faszinierte mich und ich nahm an einer seiner Führungen teil. Glücklicherweise wurde in dieser Zeit gerade auch der Kurs als Stadtführerin durchgeführt und ich meldete mich an. Seither bin ich dem Thema verfallen». Dabei habe sie als junge Frau Geschichte gar nicht so sehr interessiert. «Mein Vater war Jurist, doch eigentlich war er ein Historiker. Von ihm konnte ich eine gut bestückte Geschichtsbibliothek erben.»
Aus diesem Fundus hat sich Egger vieles angelesen. Und: «Mein Vater wusste sehr viel, doch er war ein langweiliger Erzähler. Hingegen war meine Mutter, eine geborene Baslerin, eine begnadete Erzählerin und Schauspielerin.» Bei der Tochter scheint die perfekte Mischung zu sein, was sich in ihren Stadtführungen zeigt.
Die gelernte Krankenschwester liess sich also zur Stadtführerin im Nebenjob ausbilden. Doch die unregelmässigen Arbeitszeiten im Spital liessen wenig Zeit für die inzwischen immer beliebter werdenden Führungen. Egger entschloss sich zur Selbstständigkeit als Podologin.
Eine Tätigkeit, die sie auch heute noch ausführt. «Die Füsse helfen mir, den Winter zu überleben», sagt sie, denn es sei tatsächlich so, dass im Sommer bezüglich Stadtführungen viel mehr los sei als in der kalten Jahreszeit. Doch biete sie auch Stadtführungen in der Kälte: Nachtwächter- und Geisterführung oder Stadtführungen kombiniert mit Essen in historischen Beizen.
Als selbstständig arbeitende Stadtführerin ist sie vernetzt mit vielen Kollegen und Kolleginnen in anderen Städten der Schweiz. So war sie bis vor kurzem Vorstandsmitglied der Swiss Tourist Guide Association ASGT und dort für das Ressort Weiterbildung zuständig. «Die Leute wollen Neues erfahren und dabei unterhalten sein», sagt Egger und erklärt so ihre ganz eigene Art der Stadtführungen: «Ich will, dass die Themen, die ich anspreche, mit allen Sinnen aufgenommen werden können. Mit dem Auge, dem Gehör, mit Bewegung und dem Gaumen.»
Sie ist also nicht einfach eine Führerin, die Leute zu den markanten Stellen der Stadt führt; sie verkörpert in ihren Führungen selbst eine Person aus einer jeweiligen Epoche. Madame de Coin beispielsweise, die Besucher empfängt und ihnen von ihrem Leben berichtet. «Diese Madame spürt ihren unbequemen Reifrock beim Gehen, bringt den neuesten Klatsch aus der Stadt unter die Leute und zeigt gerne, wie man mit dem Fächer heimlich Liebesbeziehungen pflegt.» Ihre Führungen nennt Egger deshalb Theaterführungen. Manche Rolle habe sie schon so oft dargestellt, dass sie sie wie ein Theaterstück auswendig spielen kann, andere probt sie am Vortag nochmals gewissenhaft ein.
Momentan arbeitet Marie-Christine Egger an der Recherche für eine Führung durch die Stadt im 19. Jahrhundert. «Eine wahnsinnig aufregende Zeit war das, insbesondere in Solothurn», sagt sie und erwähnt Kulturkampf, aufkommende Industrialisierung, Bankenkräche.
Es ist für sie auch ein neues Kostüm angefertigt worden, ein aufwendiges Biedermeierkleid einer wohlhabenden Bürgerin. «Meine Kostüm-Schneiderin Christine Schönbächler hat ein wahres Prinzessinnenkleid geschneidert», strahlt Egger. Ihre liebste Epoche sei aber der Barock. Sie lacht: «Ich hätte unglaublich gerne an einem richtigen Ambassadorenball teilgenommen.»