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Olten
Eine ältere Dame will ihre Freundin am Bahnhof Olten bei Gleis 6 abholen - und wird stutzig. Die Gleise 5 und 6 gibt es überhaupt nicht - nach Gleis 4 folgt Gleis 7. Was sind die Gründe dafür und wird das von den Passagieren überhaupt wahrgenommen?
Olten, die Stadt im Nebel. Olten, die Stadt ohne wahnsinnig viel Charme. Olten, die Bahnhofstadt. Dafür ist Olten bekannt.
Der Bahnhof Olten gilt als einer der wichtigsten Knotenbahnhöfe in der ganzen Schweiz, und praktisch jeder Zugsreisende muss früher oder später in der Dreitannenstadt umsteigen.
Für gewöhnlich achtet der stets leicht gestresste Passagier auf nichts anderes, als dass er innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit von Gleis X auf Gleis Y umsteigen kann.
Schon gar nicht auf die Nummerierung der Gleise, die ihn nicht tangieren. Hat man allerdings etwas Zeit beim Umsteigen in Olten, so fallen sie doch auf, die blauen Tafeln, auf welchen die Geleise angeschrieben stehen.
Eine ganz besonders. Diejenige nämlich, die aareseitig zum dritten Perron hinauf führt. Doch irgendwas scheint dort nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Nach der Nummer vier folgt nämlich die Nummer sieben.
Nach einem zweiten und vielleicht gar dritten Blick auf die Tafel ist sich der Betrachter sicher: Das Auge spielt ihm keinen Streich. In Olten existieren die Gleise fünf und sechs nicht. Wo sind die denn hingekommen?
Magie oder was?
«Vielleicht sind sie versteckt, so wie bei Harry Potter das Gleis Neundreiviertel», vermutet die 18-jährige Céline Ramel aus Gretzenbach. Ihr sind die verschwundenen Gleise auch schon aufgefallen, ebenso Thomas Royar, Dozent von der nahen Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
Grundsätzlich sei es nichts Aussergewöhnliches, wenn die Nummerierung der Perrons an einem Bahnhof nicht durch und durch logisch verläuft, weiss Reto Schärli von der SBB-Medienstelle.
«Der Hauptbahnhof Zürich beginnt beispielsweise mit der Nummer drei», erzählt er. Auch in den Bahnhöfen Bern und Basel läuft nicht alles nummerisch korrekt ab. In der Hauptstadt fehlt das Gleis elf, in der Stadt am Rhein die Nummer 13. Und Zofingen hat neuerdings neben den Gleisen eins, zwei und drei ein Gleis 40.
Aufzufallen scheinen sie, die nicht vorhandenen Gleise. Über die Gründe ist wenig bekannt. Weder die junge Erwachsene noch der FHNW-Dozent haben eine Idee. Der 85-jährige Oltner Arnold Willener meint, dass gar nicht mehr Platz vorhanden sei.
Auf der einen Seite komme die Aare, auf der anderen Häuser. Reto Schärli klärt auf: «Der Grund für die fehlenden Geleise liegt im Umbau, der vor vielen Jahren am Bahnhof Olten stattgefunden hat. Vorher hat es die beiden Gleise fünf und sechs noch gegeben. Doch diese sind diesem Umbau zum Opfer gefallen.»
Und Schärli fügt hinzu, dass das Gleis sechs schon vor besagtem Umbau für den Kunden nicht vorhanden war, weil es ein Stumpengleis gewesen sei.
Heute stehen Bahnhofsbuffet und SBB-Schalter dort, wo vor vielen Jahren noch die Gleise verliefen. Die Frage nach der fehlenden Nachnummerierung der restlichen Gleise gen Osten drängt sich auf.
«Vielleicht hat es mit der Gewohnheit der Leute oder mit Aberglaube zu tun», mutmasst Christine Wiesli aus Olten, der die verschwundenen Gleise ebenfalls aufgefallen sind. Nein, damit hat es gar nichts zu tun.
Vielmehr ist es eine Kostenfrage: «Dass die Gleise sieben bis zwölf nicht nachnummeriert wurden, hat mit den Kosten zu tun. Eine solche Nachnummerierung ist extrem kostspielig», so Schärli.
Vor der neuen digitalen Anzeigetafel in der Martin-Disteli-Unterführung steht eine gut gekleidete, ältere Dame und studiert angestrengt das Brett. Sie geht einige Schritte vorwärts, dann wieder zurück, schaut umher.
Sie würde ihre Freundin, die auf Gleis sechs aus Luzern ankomme, abholen, meint sie sichtlich verwirrt. «Aber das gibt es ja gar nicht», fügt sie hinzu und läuft von dannen.