Werner Nydegger stellt einen Teil seiner Werke an der Ringstrasse 39 aus. Die Ausstellung findet im dritten Stock vom 15. bis 25. Mai während der Oltner Kabarett-Tage statt.
«Wer ist Nydegger?», frage ich ihn. «Keine Ahnung», kommt wie aus der Pistole geschossen zurück. Er hätte sagen können: «Ein Künstler.» Aber mit dem Begriff Kunst tut sich Werner Nydegger grundsätzlich schwer. «Kunst-Werker», eine Schöpfung aus dem Hause Nydegger, lässt er durchgehen – aber wahrscheinlich auch nur knapp. Ist das Understatement oder bare Wirklichkeit?
Fest steht: Der Mann stellt einen Teil seiner Werke aus; jenen Teil, der sich einigermassen komfortabel transportieren lässt. Von daheim an die Ringstrasse 39, wo die Ausstellung im dritten Stock vom 15. bis 25. Mai während der Oltner Kabarett-Tage über einen Seiteneingang des Restaurant Salmen zu erreichen ist. Sie heisst bezeichnenderweise «Der Mensch – wer ist ihm nicht schon begegnet?». Ja, der Mensch, dieses Mängelwesen, für Nydegger Liebling und Teufel zugleich. Aber halt so etwas wie ein unerschöpflicher Quell; denn Nydegger ist Denker, Beobachter, Analytiker. «Klar bin ich auch Satiriker», sagt er noch leicht gequält. Aber am liebsten wäre ihm, es fände sich ein umfassender Begriff für ihn und sein Œuvre. Oder dann gar keinen. Und beides scheint unmöglich.
Nydegger redet. Über seine Wahrnehmung, seine Gedankengänge, seine Erkenntnisse, wechselt unvermittelt die Szenerie. Gerät er dabei an Unglaubliches, Fremdes, Überraschendes, streut er das Wort «unfassbar» ein. In regelmässigen Abständen, manchmal für den Zuhörenden unvermittelt, manchmal hörts jener kommen, der auf die Dramaturgie seiner Stimme achtet. «Unfassbar!» Und dann sagt er fast kindlich überrascht: «Alles, was du dir überhaupt vorstellen kannst, passiert in Wirklichkeit. Unfassbar!» Der 73-Jährige wirkt in solchen Momenten wie ein domestizierter Vulkan, dessen kaum hörbares Brummen einen stets fragen lässt: Wann bricht er das nächste Mal aus? Seine Werke sind so etwas wie die hinausgeschleuderten Gesteinsbrocken vulkanischer Aktivitäten. Egal, ob eindimensional oder plastisch.
Er sagt, er lasse sich nicht gerne prüfen. Und schon gar nicht von offizieller Seite. Aha: Nydegger will Nydegger sein; ein Kunststück in heutiger Zeit, in der sich alles zusehends angleicht. Den seinerzeitigen Kunstpreis der Stadt Olten, wo er seit 1950 wohnt, will er nicht überbewertet sehen. «Die wissen ja gar nicht, was ich mache», sagt er heute. Aha: Nydegger will «gwundrig» machen, will, dass die Leute hinsehen, hinhören, er will womöglich Fragen entgegennehmen, die er beantwortet. Er ist nämlich kein Geheimniskrämer und – falls er sich denn sonst wie thematisch äussert – auch mit nicht ganz unproblematischer Direktheit beschlagen. «Ich weiss, das brüskiert die Leute», sagt er dann. Aber er könne nicht anders. Nydegger bleibt Nydegger. Mit verblüffend kompromisslosem Hochdruck.
Er habe ein fotografisches Gedächtnis, sagt er dann. Klar könne er einen Iltis zeichnen. Dessen Bild, und nicht nur dieses, hat er im Kopf. «Ich hab alles im Kopf», sagt er noch, lehnt sich zurück, lacht. Nur: Nydegger gehört zu denen, die nicht können wollen, sondern lernen wollen. «Ich hab gern Probleme», sagt er. «Nur deren Überwindung bringt einen weiter.» Versuch und Irrtum, die Basis seines Schaffens. Das ist auch für Nydegger bei Nydegger nicht anders. Er bleibt nie auf halbem Weg stecken, bringt die Dinge am Ende auf den Punkt.
Die Sache mit den Cartoons, die ihn in breiten Kreisen bekannt gemacht und mehr als 30 Jahre beschäftigt hat, ist abgeschlossen. «War mal ...», heisst das so schön. Obwohl: Nydegger erklärt sie keineswegs für nichtig. «Ich find’ sie perfekt. Besser geht einfach nicht», ist er überzeugt. Aber eben, Cartoons, die kann er. Und so erfindet sich Nydegger immer wieder neu, erarbeitet sich einen virtuosen Umgang mit unbekannten Materialien. Er hat den Tatendrang eines kompetitiven, effizienten und neugierigen Sechstklässlers. Mit dem Unterschied, dass ihm niemand Stoff und Material reichen muss. Nydegger besorgt sich alles selber.
Bilder, Cartoons und solche der dreidimensionalen Art hat er jetzt im dritten Stock hängen. «Eine Vernissage mache ich keine», sagt Nydegger trocken. Von den Anfängen bis in die Gegenwart reichen die käuflichen Exponate. Soll man sie hier beschreiben. Titel wie «Gruppenselfie», «Rote Nasen» oder «Die Badenden»? Nein. Besehen soll man sie sich, auf die Strichführung achten, Materialien und Details entdecken, sich inspirieren lassen, freuen, ärgern, lachen.
Auch fragen. Nydegger wird Antworten geben; den Fragenden. Bemerkungen übers Wetter allerdings sind zu vermeiden. Smalltalk ist dem Mann, der sich in einem äusserst breiten Wirkungsfeld bewegt, ein Gräuel. Das mag für Neugierige in der Regel hinderlich sein und Schwellenängste aufbauen. Aber warum nicht mal über den Schatten springen und Werner Nydegger entdecken? Er wird anwesend sein.