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Am Belchen haben die Arbeiten für den Sanierungstunnel begonnen. Ein Augenschein auf der Baustelle.
Autos mit ausländischen Nummernschildern sind vor dem Infocenter des Sanierungstunnels Belchen in Hägendorf parkiert. «Die Tunnelbauer kommen aus ganz Europa», sagt Esther Widmer von der Abteilung Strasseninfrastruktur des Bundesamts für Strassen (Astra). Solche hochspezialisierte Bauarbeiter gebe es nicht so viele in der Schweiz.
Vis-à-vis dem Parkplatz sind reihenweise graue Wohnungscontainers aufgetürmt wie Legosteine. Hundert sind insgesamt auf dem Areal installiert, knapp 300 Meter vom Südportal des Belchens entfernt, inklusive einer Mensa im Container-Stil. Rund 100 der 150 Tunnelbauarbeiter werden in den nächsten drei Jahren hier wohnen und leben. «Für viele ist die Heimreise am Abend nicht möglich, weil sie zu weit weg von der Baustelle wohnen», sagt Widmer. Vorgesehen ist beim Tunnelbau ein Dreischichtbetrieb.
Aktuell arbeiten aber noch nicht alle 150 Tunnelbauer auf der rund 40 000 Quadratmeter grossen Baustelle am Südportal. Bei den Anfangsarbeiten, solange die Tunnelbohrmaschine nicht ganz im Berg verschwunden ist, müssen weniger Leute vor Ort sein. Betreten darf man die Baustelle nicht ohne Helm und Leuchtweste. Gehörschutz brauchts hingegen keinen. «In einer Linie laufen, keine Schritte nach links oder rechts», warnt Widmer wegen allfälliger fahrender Laster auf dem Areal.
Auf dem Weg trifft man auf eine alte, verrostete Lore, ein auf Schienen laufender Wagen zum Transport von Gütern in Bergwerken. Ein Fundstück aus dem Belchentunnel, der zwischen 1963 und 1970 gebohrt wurde. Bereits bei den Vorarbeiten stiessen Arbeiter auf mehrere Fundstücke ab späterer Bronzezeit. Effektiv soll auf dem Areal eine bronzezeitliche Siedlung verborgen liegen.
Das Juragebirge, das bereits von zwei Röhren des Belchentunnels durchbohrt ist, hat grosse Anteile an Gipskeuper. Dieses quellfähige Gestein verursachte an den seit gut 50 Jahren bestehenden Tunnelröhren sicherheitsgefährdende Schäden an der Tragstruktur. Deshalb soll nun bis 2022 eine dritte Röhre entstehen als Sanierungstunnel, um die zwei anderen Röhren etappenweise zu sanieren.
Deshalb wurde das Abtragen des Humus von Archäologen begleitet. Wir folgen den drei langen Förderbändern. Eines transportiert unbrauchbares Gestein direkt in die rund einen Kilometer entfernte Deponie Fasiswald. Die zwei anderen sortieren den zur Wiederverwertung bestimmten Aushub nach Grösse. Später wird damit die Tunnelsohle aufgefüllt. Die Förderbänder stehen jetzt aber noch still. Es gibt noch nicht genug Aushubmaterial.
Die ersten Baustellengeräusche sind zu hören: ein mechanisches, regelmässiges, dumpfes Geräusch. Aber sonst ist es ungewöhnlich ruhig. Nur vereinzelt sind Bauarbeiter anzutreffen. «Die aktuellen Arbeiten spielen sich da vorne ab», sagt Widmer. Mit «da vorne» meint sie das eigentliche Zentrum der Baustelle: die Tunnelbohrmaschine, 75 Meter lang und rund 14 Meter im Durchmesser. S-947 nennen sie die Ingenieure. Die weisse Metallkonstruktion ist die grösste, bisher in der Schweiz eingesetzte Tunnelbohrmaschine. Sie frisst sich seit der Andrehfeier vor knapp zwei Wochen langsam in den Berg, Richtung Nordportal in Eptingen.
Weit ist sie noch nicht gekommen. Keine 10 Meter steckt die Maschine im Berg. «Beim Bau dieses Sanierungstunnels müssen die Arbeiter besonders vorsichtig arbeiten», sagt Widmer.
Gipskeuper ist der Grund dafür. Das quellfähige Gestein, das in grossen Mengen im Berg vorhanden ist, darf nicht mit Wasser in Berührung kommen. In der Regel sticht man beim Bau eines Tunnels zuerst ganz durch und arbeitet dann den Rest aus, erklärt Widmer. Im Fall des Belchen aber müssen die Wände gleich im Rohbau fertiggestellt werden. Das heisst, die Tübbingringe, die schliesslich eine Röhre bilden, die Sickerschlitze, Querungen und SOS-Nischen, die Kabelrohranlage sowie die Tunnelsohle werden erstellt, Armierungen angebracht und das Tunnelgewölbe wird betoniert. «Sobald die ganze Bohrmaschine drin ist, wird eine kleine Fabrik im Berg entstehen», sagt Widmer.
Das Geländer an der Spitze der Bohrmaschine zittert stark. Ein Arbeiter checkt die Geräte ab. Er ist einer von rund 15, die an diesem kühlen Morgen auf der Baustelle sind. Während er schwungvoll wieder zur Hauptebene der Anlage absteigt, hält er sich am Treppenlauf fest. Das weisse Geländer auf der Hauptebene der fünfstöckigen Tunnelbohrmaschine könnte genauso gut am Deck eines Schiffs installiert sein. Überhaupt ähnelt die Anlage einem Schiff. Vor allem von der kleinen Holzbrücke aus, die den Boden mit den unteren Maschinendecks verbindet.
Mitte 2019 sollen die Hauptarbeiten abgeschlossen sein. Weitere zweieinhalb Jahre werden die Arbeiter brauchen für die Installation der Betriebs- und Sicherheitsausrüstung. Erst Mitte 2022 wird der 3200 Meter lange Sanierungstunnel Belchen in Betrieb genommen.
Auf dem Platz vor der Maschine ist gerade Millimeterarbeit gefragt. Ein Mann in greller Arbeitskleidung leitet mit kleinen Handbewegungen zwei Stapelfahrzeug-Lenker an. Ein Stromaggregator wird sachte Richtung Tunnelbohrmaschine bewegt. «In spätestens zwei bis drei Wochen wird die ganze Maschine im Berg sein. Dann wird man sie nicht mehr sehen», sagt Widmer.
Dann werden die Arbeiter an ihrem Arbeitsplatz kein Tageslicht mehr haben.
«Vai, vai» ist auf der Baustelle zu hören. Italienisch. Wie kommuniziert man auf einer Baustelle, auf der Menschen aus so verschiedenen Ländern arbeiten? «Ganz unterschiedlich», meint Widmer. «Es gibt Gruppen, die sich in ihrer Muttersprache unterhalten. Viele sind jedoch mehrsprachig.» Nach dem Treiben auf der Baustelle reichen offenbar auch nur Handzeichen zur Verständigung.
Konzentrierte Gesichter bei den Arbeitern. Grimmig, wenn Besucher gerade im Weg stehen. Auf dem grauen, fast lehmfarbigen Vorplatz zum Tunnel hat sich über die regnerische Nacht ein kleiner See angestaut. Trotz Regen erreicht nichts Nasses den Tunnel. Sogar bei den Sondierbohrungen muss der Wassereinsatz auf ein absolutes Minimum reduziert werden. So entsteht aus dem Bohrstaub eine Masse, die eine ähnliche Konsistenz hat wie Zahnpasta.
An den Felswänden um den Tunneleinstich sind in kurzen Abständen Bergsicherungsanker befestigt. Aus dem regelmässigen Muster sticht ein kleines Kästchen hervor, das am Felsen fixiert ist. Gelbe Blumen hängen links und rechts davon. Und drinnen steht eine Statuette: die heilige Barbara, Schutzpatronin der Tunnelbauer. «Die Statue ist sehr wichtig», sagt Widmer in ernstem Ton. «Ohne sie beginnen viele Tunnelbauer ihre Arbeit nicht.»