Der Ballyana-Präsident Philipp Abegg zieht eine kritische Zwischenbilanz, 15 Jahre nach dem Ende der Schuhfabrik in Schönenwerd.
Philipp Abegg: Zuerst das Sammeln und Bewahren der Hinterlassenschaften von 200 Jahren Industriegeschichte. Wir haben hier ein ganz ungewöhnliches industriegeschichtliches Erbe, viel grösser als andere, weil es einen Zeitraum von 200 Jahren und alle Aspekte der industriellen Tätigkeit umfasst. In der Grösse vergleichbar ist nur die Sammlung Krupp in Essen. Das Bewahren ist vordringlich, daneben wollen wir die Hinterlassenschaften auch den Interessierten zugänglich machen.
Wir sind etwa 35 Personen. Alle arbeiten zu 100 Prozent ehrenamtlich, ohne Lohn und ohne Spesenersatz. Sie sind in vielen Funktionen tätig: für das Archiv, das erschlossen werden muss – es gibt nach wie vor viele Neuzugänge, auch am Anlass vom letzten Sonntag –, für die Ausstellungen (Maschinen bedienen, Führungen, Kasse, Apéros), für die Administration, den Kontakt mit den Behörden oder für die einzelnen Projekte. Am Jubiläumsprogramm vom Sonntag waren beispielsweise 15 bis 20 Personen im Einsatz. Wir spüren natürlich den Alterungsprozess. Wir brauchen darum weitere Menschen, die freiwillig mithelfen wollen, bei Führungen, in der Ausstellung und im Archiv.
Am Anfang waren es Leute aus Schönenwerd und Umgebung, vor allem ehemalige Ballyaner. Mit der Zeit wurde der Kreis geografisch immer grösser: Es sind Leute mit Interesse an Industrie-, Technik-, Mode- oder Reklamegeschichte aus der ganzen Deutschschweiz. Kürzlich hatten wir erstmals eine Führung auf Englisch.
Zuerst muss ich erwähnen, was wir bisher nicht erreicht haben: Unser Kernanliegen ist das Bewahren des Bally-Firmenarchivs (Dokumente), des Werkarchivs (vor allem Schuhe) und des Schuhmuseums. Sie alle sind aber bis heute in privater Hand und geniessen keinen öffentlich-rechtlichen Schutz. In diesem Punkt sind wir nicht weitergekommen.
Erreicht haben wir die Zusammenstellung einer grossen und bunten Sammlung. Ein Highlight sind die vielen funktionstüchtigen Maschinen. Wir haben zudem rund zehn Privatnachlässe aus der Familie Bally, die mit Briefen, Tagebüchern und Bildern tiefen Einblick in die Familiengeschichte geben. Und wir haben das Archiv von Bally Band, das zurückgeht bis 1810, also in die Urgeschichte der Industrialisierung. So ist eine runde Sammlung entstanden, auch wenn das Herzstück noch fehlt.
Dazu gehören der Kunstführer zu den Industrieensembles und zur Parkanlage Bally in Schönenwerd (2005), die Broschüre Hinterlassenschaften der Industriegeschichte aufgrund einer Serie im Oltner Tagblatt (2009) und die Memoiren von Carl Franz Bally («Pionier und Pfaffenschreck», 2009). Mit dem Projekt des Kunstführers stiessen wir anfänglich auf Unverständnis, die Bedeutung des baulichen Erbes von Bally wurde zunächst nicht erkannt. Mir selbst haben vor allem der Historiker Peter Heim und der Filmemacher Bruno Moll die Augen dafür geöffnet.
Wir denken etwa an weitere Sonderausstellungen und eine Publikation zur Schuhfabrikation, und wir möchten einen Katalog der Sammlung erstellen. Aber im Moment müssen wir etwas konsolidieren, auch finanziell.
Das ist eine grosse Herausforderung. Den Unterhalt und Betrieb von Archiv und Ausstellungen finanzieren wir zu 100 Prozent selber, wir erhalten dafür keinerlei öffentliche Mittel, weder vom Bund noch vom Kanton oder der Gemeinde. Gelder aus den Lotteriefonds gibt es ausschliesslich für Projekte. Das ist sehr schwierig.
Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem Absinken der klassischen Industrie ins Historische steigt das Interesse daran. Mit dem Risiko des Vergessens nimmt das Bedürfnis nach Erinnerung zu. Jüngere Menschen wissen, dass ihre Vorfahren in der Industrie ihren Lebensunterhalt verdient haben. Sie ist die Basis unseres Wohlstands. Das weckt etwa das Interesse von Schulen. In Deutschland oder England sieht man, dass Industriemuseen anhaltend interessieren.
Richtig ist allerdings, dass wir in Archiv und Sammlung vom Know-how ehemaliger Spezialisten von Bally profitieren. Wenn solche freiwilligen Mitarbeiter altershalber nicht mehr mittun können, ist der Verlust unersetzlich.
Die Infrastruktur – Fabrikgebäude, Park, die Anlage der Strassen, Gräber, Villen, Arbeiterhäuser, das alles bleibt weitgehend bestehen. Die eigentliche Erinnerung wird ebenfalls lange anhalten. Auch das ehemalige Stift Schönenwerd hat ja bis heute Spuren hinterlassen, obwohl es 1874 liquidiert wurde.