Wer nach dem Tod seine Augenhornhäute spendet, kann durch eine Transplantation einem Blinden das Augenlicht zurückgeben. In Olten kümmert sich ab März die Stiftung Keradonum darum.
Nach Zahlen des schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes leben ungefähr 325 000 Sehbehinderte in der Schweiz, 10 000 von ihnen sind völlig erblindet. Durch die Transplantation einer gut erhaltenen Augenhornhaut eines Verstorbenen kann einem Menschen geholfen werden, der durch Erkrankung oder Verletzung der Hornhaut erblindet ist. Schweizweit fehlen aber jährlich rund 500 transplantierbare Hornhäute. Einen vergleichbaren künstlichen Ersatz gibt es nicht.
Die Stiftung Keradonum in Olten, gegründet 2008, verfolgt das Ziel, solchen Menschen zu helfen. Sie sensibilisiert unter anderem die Öffentlichkeit zum Spenden, hat eine Hornhautbank eingerichtet und fördert die Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenhäusern.
Ab März kommen die Qualitätsprüfung, Lagerung und Freigabe von gespendeten Hornhäuten dazu: Im Januar wurde nämlich vom Bundesamt für Gesundheit die entsprechende Bewilligung erteilt. Das im vergangenen Frühling eröffnete Labor ist in den Räumen des Augenzentrums der Klinik Pallas in Olten stationiert. Das Labor wurde vollkommen aus Spendengeldern finanziert.
Unerlässlich für das Sehvermögen
Die Augenhornhaut ist unerlässlich für das Sehvermögen eines Menschen, denn sie ist für den Grossteil der Lichtbrechung zuständig und ist der gewölbte Teil ganz vorne im Auge. Sie ist klein: Bei einem Erwachsenen beträgt ihr Radius ungefähr 12 Millimeter.
Hornhäute werden nur Verstorbenen entnommen. Damit sie nach dem Tod gespendet werden können, braucht es eine Einwilligungserklärung. An erster Stelle steht der Wille des Verstorbenen.
Dieser muss in Form eines Spendeausweises oder einer schriftlichen Notiz mit Unterschrift hinterlegt werden. Kann der Wille des Verstorbenen nicht ermittelt werden, liegt nach Gesetz die Entscheidung bei den Angehörigen. Hat der Verstorbene niemand Nahestehenden, darf keine Hornhaut entnommen werden.
Hohe Qualitätsanforderungen
Die gute Qualität einer Hornhaut ist für eine Transplantation das A und O. Deswegen muss sie zunächst untersucht werden. Die Entnahme erfolgt jeweils am Aufenthaltsort des Toten.
Im Labor werden die dünnen Gewebescheiben untersucht. Die Dichte der Zellschicht ist entscheidend: Pro Quadratmillimeter müssen mindestens zweitausend Zellen vorhanden sein.
Doch auch eine Blutprobe des Verstorbenen ist nötig: Leidet jener nämlich an Syphilis, HIV, einer Blutverseuchung oder an Hepatitis B oder C darf von Gesetzes wegen keine Spende vorgenommen werden.
Helga Reinshagen, leitende Ärztin des Keradonum, erklärt: «Es ist zwar nicht bekannt, ob eine Hornhaut solche Krankheiten weitergeben kann, doch geht es bei dieser Transplantation anders als bei der eines Organs nicht um Leben oder Tod. Deswegen müssen wir jedes denkbare Risiko so klein wie möglich halten.»
Die Operation des Grauen Stars kann zwar die Hornhaut beschädigen, doch das ist nicht zwingend: «Auch wenn der Verstorbene an einer Augenkrankheit litt oder alt ist, kann die Hornhaut intakt sein. Spenden können alle Generationen», meint Reinshagen.
Doch behalten werden nach der Analyse knapp mehr als die Hälfte der Spenden. Lediglich 60 Prozent erfüllen die nötigen Anforderungen. Ist die Augenhornhaut intakt, kann sie vier Wochen lang in einer Nährlösung künstlich am Leben erhalten werden. Dabei steht sie in einem 34 Grad geheizten Brutschrank und behält ihre gewohnte Körpertemperatur bei.
Da ihr jedoch der Stoffwechsel fehlt, den sie im Körper erhält, tickt ihre Lebenszeit: Sie bekommt keinen Sauerstoff, keine Tränenflüssigkeit und kann keine Zellen auf- und abbauen. Daher muss die Transplantation spätestens nach vier Wochen erfolgen.
Erfolgsquote von 90 Prozent
Die Erfolgsquote einer Hornhauttransplantation liegt bei 90 Prozent. Nur im kleinsten Teil der Fälle reagiert der Körper auf das eingepflanzte Gewebe mit einer Abstossung. Reinshagen erklärt: «Bei der Transplantation von Organen hingegen ist die Abstossungsrate deutlich höher und liegt über 50 Prozent. Die Patienten sind in diesen Fällen ihr restliches Leben lang von Medikamenten abhängig, die verhindern, dass der Körper das Organ abstösst.»
Die Spendenrate der Hornhäute ist noch nicht so hoch, wie sich das Reinshagen wünscht, doch dies wird ihrer Meinung nach die Zeit bewerkstelligen: «Es muss sich zunächst herumsprechen. Auch müssen sich die Menschen bewusster mit diesem Thema zu Lebzeiten befassen und entscheiden, ob sie spenden möchten oder nicht», findet Reinshagen.
Sie habe die Erfahrung gemacht, dass viele darüber gar nicht nachdenken. Deswegen würden dann die Angehörigen erst beim Verlust eines geliebten Menschen damit konfrontiert.
Da man die Hornhaut bis zu drei Tagen nach dem Tod entnehmen kann, bleibt den Angehörigen wenig, aber zumindest etwas Bedenkzeit. Doch nicht nur der Schock der Trauerzeit hat vielleicht die einen oder anderen Angehörigen abgeschreckt: «Wir von Keradonum entnehmen lediglich die Hornhaut. Das Auge bleibt am Ort und wird nicht entnommen, wie andere Hornhautbanken dies tun», schildert Reinshagen. Nach der Entnahme werden die Augenlider geschlossen, sodass man dem Verstorbenen nichts anmerkt.
Das Spenden der Hornhäute ist für Helga Reinshagen etwas Schönes: «Es hat mit Nächstenliebe zu tun. Ein Mensch hat zwei Augenhornhäute und kann mit einer Spende zwei Menschen helfen, denn wir transplantieren jeweils nur eine Augenhornhaut pro Patient», meint sie. «Damit tut man noch nach seinem Tod etwas Gutes: Die eigene Hornhaut verhilft einer anderen Person zum Sehen.»