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Anfang April hat im Kantonsspital Olten eine Palliativeinheit den Betrieb aufgenommen. Hier werden unheilbare Patienten betreut. Die Station steht auch für ein Umdenken in der Medizin.
Der Gedanke an den Tod, unseren eigenen und den unserer Angehörigen, löst beunruhigende Gefühle aus. Besonders schlimm ist die Vorstellung, in den letzten Stunden, Tagen und Wochen unter grossen Schmerzen leiden zu müssen oder an unzählige Apparate angeschlossen zu sein. Die Palliativmedizin, die sich in der Schweiz und auch in Solothurn sukzessive etabliert (siehe Kontext) zeigt, dass es auch anders geht.
«Mit dem Fachwissen der Palliativmedizin können wir heute beim grössten Teil der Patientinnen und Patienten das Leiden deutlich verringern.» Davon ist Catrina Uhlmann Nussbaum, Fachärztin für Krebserkrankungen am Kantonsspital Olten (KSO), überzeugt; und genau so auch Ernst Näf, Leiter des onkologischen Pflegedienstes am KSO. Sie sind gemeinsam verantwortlich für das Pilotprojekt Palliative Care der Solothurner Spitäler AG (soH).
Dessen Herzstück ist eine kleine Palliativstation bzw. -einheit, die Anfang April am KSO ihren Betrieb aufgenommen hat. Vorerst beschränkt auf drei Betten, wird sie im Juli auf sechs Betten ausgedehnt. Ziel ist es, später auch am Bürgerspital Solothurn eine solche Einheit einzurichten.
Unter der Leitung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und der eidgenössischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) wurde die «Nationale Strategie Palliative Care 2010 bis 2012» erarbeitet. Deren Ziel: Palliative-Care-Leistungen sollen überall angeboten und für alle zugänglich sein. Zudem müssen diese internationalen Standards entsprechen. Um einen Überblick über den Stand der Entwicklung von Palliative Care zu erhalten, haben das BAG und die GDK Ende 2011 eine schriftliche Befragung bei den Kantonen durchgeführt. Die Resultate: In vielen Kantonen sind in den letzten Jahren diverse spezialisierte Palliative-Care-Angebote eingerichtet worden. Nebst Palliativstationen gehören dazu auch Hospize mit Pflegeheimstatus sowie mobile Palliativdienste. Solothurn gehört zu jenen Kantonen, wo sich der Aufbau solcher Angebote – mit Ausnahme der Oltner Palliativstation – noch in der Planungsphase befindet. Ende Januar 2009 wurde der Verein « Palliative Care Netzwerk Kanton Solothurn» aus der Taufe gehoben. Der Verein zählt jetzt 120 Mitglieder. Seit letztem Jahr wird der Verein, zunächst beschränkt auf drei Jahre, vom Kanton mit jährlich 50000 Franken unterstützt. Im letzten Jahr erarbeiteten die Verantwortlichen des Netzwerks einen Betreuungsplan als Grundlage für die interprofessionelle Betreuung von Patienten. Derzeit ist der Verein damit beschäftigt, ein oder zwei mobile Palliative-Care-Teams aufzubauen, die als Ansprechpartner für Probleme rund um die Betreuung von Palliativpatienten dienen sollen. (esf)
Offener Dialog mit Patienten
Die Gründung einer Palliativstation ist dabei nicht einfach eine Erweiterung des Spitalangebots. Sie ist vielmehr Ausdruck eines Umdenkens in der Medizin. Traditionell beschränkt sich die medizinische Wissenschaft auf die Heilung von Krankheiten. Eher stiefmütterlich behandelt werden dabei aber die Bedürfnisse von schwer kranken Menschen, bei denen keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Mit der Palliativmedizin anerkennt die ärztliche Kunst ihre Grenzen bzw. konzentriert ihre Kräfte bei Betroffenen auf die Linderung der Symptome – statt bis zum Schluss auf aggressive, Heilung versprechende, Therapien zu setzen.
«Dieses Umdenken erfordert einen offenen Dialog mit den Patienten», betont Ernst Näf. So gelte es, im Gespräch etwa die Vor- und Nachteile einer Chemotherapie abzuwägen, bei der die Erfolgsquote nur sehr gering ist. Als junge Assistenzärztin beobachtete Catrina Uhlmann zudem, wie sich unheilbar kranke Patienten und ihre Angehörigen durch solche Therapien oft in falscher Hoffnung wiegen – und dann, für sie völlig unerwartet, vom Tod überrascht werden. «Dadurch aber fehlt die Zeit, voneinander Abschied zu nehmen, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen oder wichtige persönliche Angelegenheiten zu regeln.»
Der Zweck der Palliativmedizin bestehe aber keineswegs darin, so Näf, den Betroffenen zu kommunizieren, dass man nichts mehr für sie tun könne. Im Gegenteil: «Die Palliativmedizin verfügt heute über sehr gute Methoden, die den komplexen Bedürfnissen von unheilbar kranken Menschen gerecht wird.» Und er betont: «Wir lassen niemanden fallen.»
Die Station ist kein Sterbehospiz
Besonders bei der Betreuung von Menschen, die mit dem nahen Tod konfrontiert sind, ist eine ganzheitliche Behandlung unverzichtbar, wie Krebsspezialistin Catrina Uhlmann erläutert. «Neben der Behandlung der körperlichen Symptome berücksichtigt die Palliativmedizin auch psychische, soziale und spirituelle Faktoren.» Häufig beeinflussen sich diese Faktoren wechselseitig, weiss die Onkologin.
«Menschen, die unter Stress stehen, haben zum Beispiel ein ganz anderes Schmerzempfinden.» In der neuen Palliativstation des KSO kümmert sich denn auch ein interdisziplinäres Team um die vielfältigen Bedürfnisse der Betroffenen. Das medizinische Personal steht in engem Kontakt mit der Seelsorge, den sozialen Diensten und der Psychologie, aber auch der Ernährungsberatung und der Physiotherapie.
Die Palliativstation dürfe nicht mit einem Sterbehospiz verwechselt werden, begegnen Uhlmann und Näf einem verbreiteten Vorurteil. Es werden denn auch längst nicht alle schwer kranken Menschen auf der neuen Station behandelt. Uhlmann: «Wir kümmern uns hier um Patienten, die aufgrund ihrer unheilbaren Krankheit mit einer komplexen Problemsituation konfrontiert sind.» Die Aufenthaltsdauer ist auf 12 bis 14 Tage beschränkt. «In dieser Zeit versuchen wir, die medizinischen, aber auch psychischen und sozialen Probleme so gut es geht in den Griff zu bekommen, und eine Anschlussmöglichkeit zu finden.»
Spezialisierte ambulante Dienste
Bis jetzt sind zehn Patienten auf der Palliativstation betreut worden. Bei der Mehrzahl handelt es sich um Krebspatienten. Zwei Betroffene sind während dieser Zeit gestorben, die übrigen acht konnten nach Hause zurückkehren oder wurden in einer Einrichtung für Langzeitpflege untergebracht. «Bevor wir jemanden nach Hause entlassen, klären wir ab, ob die Bedingungen stimmen», unterstreicht Uhlmann. Verbesserungsbedarf erkennt die Onkologin ganz besonders bei der Betreuung während der Nacht. «Hier wäre ein spezialisierter ambulanter Dienst unbedingt nötig.» Und Ernst Näf moniert, dass es in der Langzeitpflege im Kanton Solothurn keine spezialisierten Plätze für junge schwer kranke Männer und Frauen gibt.