Olten
Peter Bichsel: «Schreiben ist das einzig dilettantische Handwerk»

Der Schriftsteller Peter Bichsel gab beim Cheminéefeuergespräch des Journalistenvereins Aargau-Solothurn (Jvas) in Olten einen humorvollen, anekdotenreichen Einblick in «Leben, Leidenschaft und Leiden beim Schreiben».

Karin Schmid
Drucken
Peter Bichsel unterhielt die Mitglieder und Gäste des Journalistenvereins Aargau-Solothurn in Olten mit seinen Anekdoten und viel Ironie. Foto: KAS

Peter Bichsel unterhielt die Mitglieder und Gäste des Journalistenvereins Aargau-Solothurn in Olten mit seinen Anekdoten und viel Ironie. Foto: KAS

Der Journalistenverein Aargau-Solothurn (Jvas) ist eine Sektion des Verbandes Impressum. Jeden November organisiert der Vorstand um Präsidentin Emiliana Salvisberg (Aarburg) ein Cheminéefeuergespräch, das zwar nicht mehr jedes Jahr mit Cheminéefeuer, aber mit Gastreferaten bekannter, teilweise prominenter Persönlichkeiten zu journalistischen Themen aufwartet. Am Gespräch vom letzten Mittwoch im Oltner «Rathskeller» («Chübu») trat Peter Bichsel auf. Der 78-jährige Schriftsteller und frühere Primarlehrer wuchs ab seinem sechsten Lebensjahr in Olten auf, war jahrelang als Primarlehrer und von 1974 bis 1981 als persönlicher Berater für Bundesrat Willi Ritschard tätig. Zudem wirkte er journalistisch bei der «Weltwoche», in der 1968 seine ersten Kolumnen veröffentlicht wurden. Der in Bellach wohnhafte Peter Bichsel war von Jvas eingeladen worden, um von «seinem Leben, seiner Leidenschaft und seinem Leiden beim Schreiben» zu erzählen. Und dies tat er auch: mit klaren, provokativen Worten und viel Humor und Ironie.

Bichsel begann mit der Lesung seiner 1997 geschriebenen Geschichte «Drei Randständige erklären Candid die Demokratie» und erzählte anschliessend lustige, unterhaltsame Anekdoten über Politiker. Für Bichsel ist Politiker «ein unanständiger Beruf, einer, bei dem man nicht sagen und nicht sein kann, was und wer man ist. Welcher Politiker schafft es, ohne Verleumdung und Tricks zu politisieren? Keiner schafft es, nicht auf sich hereinzufallen. Es ist aber eine Frage des Masses».

Pro-Jura-Artikel als «Heldentat»

Peter Bichsel war in der Vergangenheit als Journalist bei der «Weltwoche» tätig. Das sei eine «wunderbare Zeit» gewesen «mit einem Riesenhaus» als Redaktionssitz. Damals habe die «Weltwoche» «ihr Geld nicht mit der Zeitung verdient, sondern mit dem Haus». Bis heute bekomme er die «Weltwoche» zugesandt – um sie vom Cellophan zu befreien und in den Papierkorb zu werfen. «Die ‹Weltwoche› war immer eine charakterlose Zeitung, die charakterlos lebte», fand er. Aber: «Sie war 1942 die einzige Zeitung, die die Deutschen am Kiosk kaufen konnten und ihnen eine liberale Sicht von aussen zeigte.»

Ob er damals auch das schreiben durfte, was er wollte, oder nur, was er musste, wollte ein Gast von Peter Bichsel wissen. «Ich konnte nur das schreiben, was ich bis heute schreiben kann», erwiderte er leicht schulterzuckend. Er habe sich damals zum Jura-Spezialisten entwickelt. «Meine Heldentat in der ‹Weltwoche› war, als ich, eventuell als erster Deutschschweizer, einen sehr projurassischen Artikel schrieb mit dem Titel: ‹Zum Fahnenstangen fallen lassen›.» Dieser löste laut Bichsel jedoch – gerade weil von einem Deutschschweizer verfasst – eher Kritik als Lob aus.

Danach wollte jemand wissen, ob Peter Bichsel beim Schreiben seiner Artikel je an Schreibstau gelitten habe. «Ja, bei jedem», erwiderte der 78-Jährige prompt. «Genauso wie bei jeder Geschichte. Es geht verdammt lang, bis ich mit dem Schreiben anfangen kann und mir etwas in den Sinn kommt.» Und dann: «Es ist eigentlich beleidigend, wie schnell das Schreiben nach dem Stau geht.»

100 Sender, dasselbe Programm

Beim Thema «Konsumieren von Medien» erzählte Bichsel von seinem Vater. «Er sagte mir immer: ‹Inserate sind für Zeitungen wichtig, denn Leser finanzieren sie nicht›.» Heute werde die Zeitung für Inserenten gemacht, fand er. «Das ist beleidigend für Journalisten.» Es sei wie beim Fernsehen: Er könne sich heute mit der Fernbedienung durch 100 Sender drücken, «aber überall kommt dasselbe. Die Medien sind heute nicht mehr an Qualität interessiert, sondern nur noch an Einschaltquote und Auflage.» Bichsel bezeichnete es als «nötig, dass den Verlegern wieder einmal das gefällt, was sie bringen». Journalist werde mehr und mehr ein Monopolberuf. «Es gibt nur noch drei Firmen, für die es interessant ist zu arbeiten – und es werden immer weniger.» Als «beste Zeitung, die es noch gibt», bezeichnete Peter Bichsel die «(Neue) Zürcher Zeitung»; «sie hat sich nicht verbessert, aber nicht so stark verschlechtert wie die anderen Zeitungen.» Es sei eine «traurige Sache: Man hat keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern».

Peter Bichsel würde sich nach eigenen Aussagen gerne für das Alphabet einsetzen. Er hält es für vorstellbar, dass «es in zehn Jahren keine Buchstaben mehr gibt. Eine der heftigsten Veränderungen ist der Analphabetismus».

«Im Sport noch Erzähljournalismus»

Wo immer er sei, lese er bei einer Zeitung als Erstes den Lokalteil, erklärte Bichsel. «Heute gibts dort nur noch schlechte Schulaufsätze. Ich frage mich, wer im Geschäft noch an gutem Journalismus interessiert ist.» Wenn er heute in einer Redaktion tätig sein müsste, wollte er dies «im Sport» tun. «Das ist der einzige Ort, an dem heutzutage noch Erzähljournalismus geschrieben wird. Überall sonst gibts nur noch Kurzfutter.» Bichsel zeigte sich überzeugt davon, dass das allfällige Aussterben des Erzählens «der Tod der Menschheit» wäre. «Dazu kommt, dass das Fernsehen nicht erzählen kann, denn man kann nur aus der Vergangenheit, der Erinnerung heraus erzählen. Fernsehen funktioniert aber nur durch das Jetzt.»

Literarisches Schreiben sei «das letzte dilettantische Handwerk. Der, der schreiben kann, ist verloren». Das Schreiben an sich ist nach Auffassung des Schriftstellers bis heute gleich geblieben. «Geändert hat sich nur das Werkzeug. Doch auch der Computer hat das Schreiben nicht besser gemacht.»