Olten
Mike Müller überzeugt in der neuen Komödie mit seiner Wandlungsfähigkeit – er stellt alle Figuren selbst dar

Mit viel Tempo, Witz und einer guten Portion Ernsthaftigkeit eröffnete Mike Müller die Spielsaison 2021/22 des Theaterstudios Olten. Er wollte sich während des Auftritts allerdings nicht fotografieren lassen.

Denise Donatsch
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Mike Müller stellt alle Figuren in der Komödie mit unterschiedlicher Mimik, Gestik und Sprache selbst dar.

Mike Müller stellt alle Figuren in der Komödie mit unterschiedlicher Mimik, Gestik und Sprache selbst dar.

Zvg/Joel Schweizer

Das Drama der Geschwister Heinzer, Heinzer und Heinzer beginnt nicht erst mit dem Tod von Vater Kaspar, droht durch dessen Ableben nun aber zu eskalieren. Dies, weil sich die drei Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester, nicht über die Aufteilung des väterlichen Vermächtnisses beziehungsweise über dessen Testament einigen können und vor Gericht landen.

Was wohl auch in den besten Familien vorkommt und nach einer alltäglichen Situation auf dem Schlichtungsamt oder am Gericht klingt, wird durch Mike Müllers Verkörperung aller am Prozess beteiligter Charaktere zu einem ausserordentlich hitzigen wie auch anspruchsvollen Ereignis.

In einem konstanten Sog aus Wortgefechten

Vom ersten Satz an, welcher der Schauspieler in der Rolle des verstorbenen Vaters ans Publikum richtet, bis zum furiosen Ende des Spektakels, befindet man sich als Zuschauende in einem konstanten Sog aus Wortgefechten.

Die Geschwindigkeit seiner nahtlos aneinander anknüpfenden Dialoge zwischen den Charakteren, welche Müller allein durch Mimik, Gestik sowie Stimme und Dialekt zum Leben erweckt, lässt kaum Raum für eine Atempause. Dies unterstreicht die Dramatik des Konflikts, in dem sich die Geschwister Heinzer befinden.

Trotz des ernsten Themas, mit welchem Müller die Zuschauerinnen und Zuschauer konfrontiert und dem hohen Mass an Aufmerksamkeit, welches er von ihnen abverlangt, befindet sich das Publikum spätestens ab Mitte der Komödie in einer Art konstantem Lachrausch. Dies ist besonders Müllers kompromisslos authentischer Darstellung seiner Figuren zuzuschreiben, welche tatsächlich so vorkommen könnten, sich in der Realität aber wohl deutlich mehr darum bemühen würden, gewisse Dinge zu verbergen.

Richterin und Anwälte

Selbst die Richterin, welche in breitestem Bündnerdeutsch versucht, Ordnung in die zunehmend chaotische Verhandlung zu bringen, lässt verschiedentlich durchblicken, dass sie eine Gerichtsverhandlung nicht immer ganz ernst nehmen kann. Derweil befeuern sich die Anwälte der zerstrittenen Parteien gegenseitig mit hochgestochenem Juristenlatein und ergötzen vor allem sich selbst an ihren «unanfechtbaren» Argumenten.

Und immer wieder tritt der Verstorbene auf – in kaltes, blaues Licht getaucht –, um selbst nach seinem Ableben noch seinen Senf dazuzugeben.

So verrät er post mortem, dass er sein Erbe viel lieber jemand anderem als seinen drei Kindern vermacht hätte, dies jedoch von der begünstigten Person abgelehnt worden sei.

Kompromisslos ernsthaft und erstaunlich elegant

Unbestrittener Publikumslieblingsmoment von Müllers Performance ist der Auftritt der in die Jahre gekommenen Balletttänzerin und Spitex-Pflegefachfrau «Coco». Bereits dreifach knieoperiert bettet sie ihren Auftritt am Gericht in eine Tanzeinlage ein. Kompromisslos ernsthaft und erstaunlich elegant zeigt sich Müller auch in dieser ungewohnten Rolle und sorgt mit dieser Szene für Lachattacken und Schnappatmung beim Publikum.

Als Zeugin einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Heinzer Senior und seinen Kindern kurz vor seinem Tod lässt die Pflegefachfrau und Tänzerin mit französischem Akzent schliesslich noch tiefer in die Abgründe und Trinkgewohnheiten gewisser Anwesender blicken. Das bringt das Bild auf die Hinterbliebenen und deren Umfeld zusätzlich ins Wanken.

Als zu allem Übel noch ein bis anhin unbekannter Verwandter dazu stösst, platzt auch Kaspar Heinzer Junior, welcher bis zu diesem Zeitpunkt eisern geschwiegen hat, der Kragen: Er ergreift tief erschüttert das Wort, nur um kurz darauf einen Abgang der dramatischen Art zu machen – mehr sei hier nicht verraten. Ob am Ende des Familiendramas nun das Testament oder ein «Fest am End» steht, wie Müller reimt, bleibt indes offen.

Müller wollte sich während Auftritt nicht fotografieren lassen

Am Donnerstagabend durfte unser Fotograf Bruno Kissling die Vorstellung von Mike Müller im Theaterstudio nicht fotografieren. Müller fühle sich während des Auftritts gestört, hiess es von der Theaterleitung. Allerdings: Weder war dies bei bisherigen Vorstellungen des einheimischen Müller ein Problem – ein Mitgründer des «Theaterstudios» –, noch wurde diese Zeitung im Vorfeld auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Vereinspräsident Andreas Meier sagte auf Anfrage: «Ich war selbst auch überrascht, weil es normalerweise kein Problem ist, dass ein Fotograf vorbeikommt.» Es sei aber schon so, dass man «in einem kleinen Theater wie dem unsrigen jede Regung des Publikums mitbekommt». Müller biete daher vor der eigentlichen Vorstellung gestellte Szenenfotos an. Das war am Donnerstagabend für diese Zeitung nicht mehr möglich, weil der Fotograf erst kurz vor Vorstellungsbeginn vor Ort war – er kam von einem anderen Anlass – und nichts vom Wunsch Müllers wusste.

Bruno Kissling sagt dazu: Er akzeptiere, wenn ein Künstler während der Vorstellung nicht gestört werden wolle, doch dann müsse man dies vorher wissen, damit man sich anpassen könne. Zudem erklärt er, dass die modernen spiegellosen Kameras weder ein Klickgeräusch machten noch ein Hilfslicht benötigten, um die Bildschärfe einzustellen. Auch auf den Einsatz des Blitzes wird verzichtet, um die Künstler auf der Bühne nicht zu blenden. «Von mir hört und sieht man eigentlich nichts», sagt Kissling. Da seien Geräusche aus dem Publikum störender. Was auch geschah: Während der Vorstellung ist beispielsweise mehreren Personen das Getränk umgekippt.

Mike Müller schreibt auf Anfrage, dass es generell nicht üblich sei, dass Pressefotografen in einer Theatervorstellung Bilder machten. Dafür könne man vorgängig eine Fotoprobe vereinbaren, was er auch gerne gemacht hätte. «Bloss wurde ich dazu nicht gebeten. Insofern habe ich auch gar nicht gewusst, dass ein Pressefotograf anwesend ist.» Er glaube gerne, dass Bruno Kissling, den er kenne und schätze, bedachtsam arbeite. «Ein Fotograf in einem 100-plätzigen Theater kann sich aber nicht unsichtbar machen. Er wird dann leider Teil der Inszenierung, und das ist bei mir so nicht vorgesehen.» Es seien zahlende Zuschauer im Raum, und die fühlten sich gestört. «Und ich als Schauspieler fühle mich sehr gestört. Eigentlich bin sogar erstaunt, dass ich dies gegenüber einer Zeitung rechtfertigen soll.» Diese Zeitung greift für die Illustration des Auftritts auf ein Bild zurück, das von Müller zum gleichen Stück zur Verfügung gestellt wurde. (fmu)