Olten
«Olten heisst nichts», sagt Simon Chen – oder heisst es etwa doch alles?

In der Turmrede zu den 26. Oltner Kabarett-Tagen entlarvte Simon Chen die dadaistische Seite der Stadt. Der Wortakrobat sparte nicht mit Seitenhieben und verströmte einiges an trockenem Humor.

Julia Egenter
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Simon Chen sparte nicht mit «Oltner Weisheiten».

Simon Chen sparte nicht mit «Oltner Weisheiten».

HR.Aeschbacher

Dieser Text könnte mit ein paar Worten zum Wetter beginnen. Aber in einer Zeit, in der kein Gespräch ohne Wetterprognosen, Wetterleiden und Wettergespött mehr möglich ist, braucht es das wohl nicht. Und ausserdem war auch Simon Chens erster Satz nicht dem Wetter gewidmet – erst sein zweiter: «Petrus ist ein Oltner». Stellt sich die Frage, ob er da als «Nicht-Oltener» nicht besser ein wenig präzisiert hätte? Oder aber uns ist da etwas entgangen und allerlei Wettermuffel fluchten in den vergangenen Wochen leidenschaftlich über einen Oltner? Nun, zumindest ein Turmrede-Liebhaber scheint der Heilige allen Anschein nach aber tatsächlich zu sein ... Ausführungen dazu lassen wir besser mal – wer will denn schon übers Wetter reden.

Dann doch lieber über Olten. Gezwungenermassen sozusagen. Denn ausser der Stadt selber habe ja nichts mit Olten zu tun, so Simon Chen. Und selbst da stiess der Moderator des Oltner Kabarett Castings an seine Grenzen. Denn: «Olten heisst einfach nichts.» O.L.T.E.N. Fünf scheinbar wahllos aneinandergereihte Buchstaben, keine Wortherkunft auf den ersten Blick ersichtlich. «Olten», dröhnte Chen vom Balkon auf die Zuschauerinnen und Zuschauer hinunter, «ist Dadaismus pur.» So sei Olten immer gerade das, was man im Moment darunter verstehen wolle. Wort- und gestenreich holte Chen alsdann zur Bedeutung der fünf Buchstaben aus – und präsentierte dabei seine (Aussen-)Sicht auf die Dreitannenstadt.

Bahnhof. Ob Simon Chen wohl kurz mit dem Gedanken gespielt hatte, diese Assoziation zu Olten auszulassen? Wer weiss. Was sein muss, muss sein, schien sich Chen gesagt zu haben. Denn wer Olten nicht kenne – also die meisten – schaue doch ein wenig hochnäsig auf die Stadt hinunter und denke: «Olten – seit wann hat ein Bahnhof einen Namen?» Olten sei nichts, proklamierte der Wortkünstler. Und verwies auf den Kilometer Null des Schweizerischen Eisenbahnnetzes... in Olten. «Wer weiss, vielleicht ist das O von Olten ja gar kein Buchstabe, sondern eine Null», verteilte Chen Seitenhiebe und erntete dafür immer wieder Lacher. Wer sich als Oltnerin oder Oltner bezeichnet, tut gut daran, über sich selber lachen zu können - auch bei Simon Chens Turmrede. Und doch schien es beinahe, als sei am Wortkünstler ein kleiner Lokalpatriot verloren gegangen. Denn Olten, so Chen, sei zwar nichts, aber Olten sei eben auch alles. Der Vorteil eines Wortes ohne Bedeutung.

Wenn also Zürich das Ego-Zentrum der Schweiz sei, dann sei Olten der Mittelpunkt des Landes. «Wäre das Kursbuch der SBB eine Bibel, dann würde sie mit den Worten beginnen: ‹Im Anfang war Olten›». Und auch international strahle die Kleinstadt aus, «und do demit meini nid Gösge!» Nein, jedes Jahr werde an Weihnachten in der ganzen christlichen Welt die Oltner Hymne gesungen: «Oh Tannenbaum...»

Olten. Ein Wirtschaftsstandort («hat zwar keinen Alpenblick, aber Alpiq), aber auch Bildungsort («Wer do id Schuel goht, isch nid Hohler als anderi...») und Kulturstadt (trotz Stadttheater noch jedes Jahr «es huere Kabarett»). Und auch in anderen Masseinheiten kommt niemand so schnell an Olten heran: Olten hätte sogar einmal den längsten Strassenstrich der Schweiz gehabt, so Chen. «Mir hei de längscht», habe es da geheissen. Was er damit sagen wolle: «Olte isch potänt, Olte isch fruchtbar». Das habe auch die Ablehnung der Volksinitiative «Verkehrsfreie Innenstadt» gezeigt: «Die Oltnerinnen und Oltner wollen die Fortpflanzung nicht den Aussenquartieren überlassen ...»

Augenzwinkernd ergoss Chen seine Eindrücke der Kabarett-Stadt über das Publikum – während der Turmrede der einzige Erguss aus den Höhen, um doch noch ein paar Worte zum Wetter verloren zu haben. Nicht so zahlreich wie vergangene Jahre hatten sich die Zuschauerinnen und Zuschauer auf dem Ildefonsplatz eingefunden. Doch diejenigen, die es gewagt hatten, das Haus zu verlassen, genossen eine Viertelstunde trockenen Humor.