Gastkolumne
Olten, der Büezer unter den Städten

Gastkolumne von Michèle Binswanger zu ihrem Verhältnis zur Stadt Olten. Die 47-Jährige ist Journalistin und Autorin und schreibt für den «Tages-Anzeiger». Seit sie 1995 von Olten wegzog, um in Basel Philosophie zu studieren, lebt sie hauptsächlich dort. Sonst ist sie in Zürich anzutreffen.

Michèle Binswanger
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Blick auf Olten

Blick auf Olten

Bruno Kissling

Hass ist ein starkes Wort. Man sollte nicht leichtfertig damit um sich werfen. Doch musste ich neulich in dieser Zeitung lesen, ich hätte einen Hass auf Olten. Ich hatte im «Tages-Anzeiger» über meine Jugend in dieser Stadt geschrieben. Dass ich immer geglaubt hatte, die Stadt sei ein Ort für Versager. Ich schrieb von meiner jugendlichen Sehnsucht nach der grossen weiten Welt, die doch hoffentlich ein bisschen anders wäre, als die kleine graue Stadt am Jurasüdfuss mit ihrer Schwere, ihrer Enge, dem drückenden Himmel. Dass ich von einer schöneren, bunteren, verheissungsvolleren Welt träumte und schliesslich auszog, mich dieser Welt an den Hals zu werfen.

Zwanzig Jahre später weiss ich, dass ich weniger Olten entfliehen wollte als meiner Jugend. Dass Olten nicht unbedingt eine Stadt für Versager ist, aber immer auch ein Herz für Versager hatte – im Vergleich zur Welt da draussen, die nicht immer so gnädig ist. Wenn ich heute nach Olten zurückkehre, sehe ich eine andere Stadt, lieblicher, lebensbejahender, interessanter, als ich sie damals erlebte. Dann habe ich die Hoffnung, dass nicht nur Olten sich zum Besseren verändert hat.

Heute erwähne ich mit heimlichem Stolz, dass ich aus Olten stamme. Olten war immer der Büezer unter den Deutschschweizer Städten, ein Underdog mit einem Stolz und einer Respektlosigkeit, die ihm einen ganz speziellen Charme verleiht. Olten ist nicht das malerische Luzern, das mondäne Zürich, das beschauliche Solothurn. Olten ist klein, ja, aber es hat Charakter, Kultur. Und Humor. Genauso wie die Menschen, die hiergeblieben sind. Oltens Grösse, sagte mein Oltner Freund A. immer, liegt in seiner Beschränktheit. Und ja, das hiesige Nachtleben war in meiner Jugend ein Biotop, in dem sich die sozialen Schichten vermischten.

Es gab die Knellen wie das «Kreuz», das «Valentino», das «Stadtbad», es gab die Clubs wie der «Hammer», das «Valentino», das «Tropicana». Popper mit Ganzkörper-Gelfrisuren tranken mit verfilzten Rockern, Bankdirektoren sassen neben Hilfsarbeitern, Kiffer, Hells Angels und Junkies schunkelten friedlich miteinander. Auch altersmässig war alles vertreten – von Teenie bis tot. Und was alle verband war ein ganz besonders bissiger Humor; nicht nur die Kirsche auf diesem soziokulturellen Cocktail, sondern die Zutat, die das Gesöff überhaupt erst geniessbar machte.

Heute, höre ich, ist vieles anders. Die Szenen haben sich auseinanderdividiert. Die Stadt wurde aufgeräumt. Die Leute arbeiten zumeist ausserhalb. Und wer in Olten arbeitet, fährt abends wieder weg. Es sei ein bisschen traurig geworden in Olten, sagen diese Leute angesichts dieser Situation manchmal. Ob das stimmt oder ob diese Leute von Nostalgie geblendet sind, kann ich nicht beurteilen. Aber Nostalgie kenne ich auch. Wenn ich zurückkomme, spaziere ich als Touristin durch die Stadt und freue mich an meinen Erinnerungen. Aber noch mehr daran, wie die Stadt sich verändert hat. Und hoffe, dass auch ich mich so verändert habe: zum Positiven.