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Der renommierte Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes im Interview: Ist die Stossrichtung des Oltner Mobilitätsplans richtig oder muss die Stadt ihren Kurs ändern?
Die Stadt Olten entwickelte zusammen mit dem Kanton und einem Planungsbüro den Mobilitätsplan, um die Verkehrsentwicklung in Abstimmung auf die Siedlungsentwicklung bis 2030 aktiv zu steuern. Ohne diesen Eingriff drohe der Verkehrskollaps, sagte der Stadtplaner Lorenz Schmid gegenüber dieser Zeitung.
Der renommierte Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes sagt, dass es dringend notwendig sei, den öV und den Langsamverkehr auszubauen, wenn wir unsere Städte von morgen lebensfreundlich gestalten und den Klimaschutz ernst nehmen wollen.
Das Interview mit dem Leiter des Studienganges Verkehrssysteme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften wurde schriftlich geführt.
Thomas Sauter-Servaes: Wir leben in einer Welt, die sehr stark durch Technologietrends getrieben wird. Dabei entwickeln wir viele technische Antworten und vergessen häufig, darüber nachzudenken, ob wir uns überhaupt die richtigen Fragen gestellt haben. Vor diesem Hintergrund ist es richtig und wichtig, eine Vision für den Zukunftsverkehr zu entwickeln. Dies stets unter der Voraussetzung: Wie können wir unsere Städte von morgen lebensfreundlich gestalten?
Trendprognosen sind ein nützliches Instrument, um potenzielle künftige Entwicklungen abschätzen zu können. Da viele Rahmenbedingungen jedoch stark variieren können, ist es unabdingbar, in verschiedenen Szenarien zu denken. Und dabei sollte eben auch das Zielszenario stets eine wichtige Rolle spielen, also die Vorstellung davon, wo es hingehen soll. Zukunft fällt nicht vom Himmel, Zukunft wird in weiten Teilen von uns selbst gemacht.
Es ist nicht nur möglich, sondern auch dringend notwendig. Wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen, werden wir beim Verkehr massiv umsteuern müssen. Wir wissen aus anderen Schweizer Städten, dass rund die Hälfte aller Autofahrten im Entfernungsbereich bis fünf Kilometer stattfindet. Wenn man die städtische Hardware für Fussgänger und Velofahrer sicherer und attraktiver gestaltet, liegt hier ein riesiges Potenzial. Innerstädtische Strassen müssen dafür aber von reinen Transferräumen wieder zu Räumen mit Aufenthaltsqualität werden. Davon profitiert auch der lokale Einzelhandel.
Alle Erfahrungen zeigen, dass Zuckerbrot allein nicht reichen wird. Es bedarf wohl auch der Peitsche. Das heisst, dass es nicht genügt, nur Fuss- und Veloverkehr zu intensivieren. Autoverkehr muss in bestimmten Räumen auch unattraktiver werden. Diese Gratwanderung zwischen einer wirksamen Förderung des Aktivverkehrs und dem Erhalt einer leistungsfähigen Strasseninfrastruktur ist sicher eine Herausforderung. Ein «Weiter so» wie bisher ist aber keine ernstzunehmende Alternative.
Nein, wer einen zukunftsfähigen Stadtverkehr gestalten möchte, muss insbesondere dem Velo- und Fussverkehr bessere Infrastrukturbedingungen bieten.
Wenn wir nicht im Verkehr ersticken wollen, muss der einzelne Verkehrsteilnehmer künftig die von ihm verursachten und bislang an die Gesellschaft weitergereichten sozialen Kosten – wie beispielsweise Umwelt- und Gesundheitskosten – selber tragen. Damit wird Verkehr teurer. Nicht von heute auf morgen, aber langfristig, sodass wir unsere Lebensplanung schon heute darauf ausrichten können.
Das Teilen kann ein bedeutendes Element für einen umweltfreundlicheren Verkehr werden, weil es den Automatismus Mobilität gleich Privatautonutzung aufhebt, der öV, Fussverkehr und Velo gar nicht zur Alternative werden lässt. Gegenwärtig sind wir aber weit davon entfernt, dass Sharing-Services eine statistisch nachweisbare Rolle im Verkehr spielen.
Die das Teilen ermöglichende Technologie ist nicht das Problem, sondern die Akzeptanz in der Bevölkerung. Autonom fahrende Vehikel können sicher einen entscheidenden Impuls dazu geben, dass wir vom heutigen Besitzfokus zu einem rationaleren Nutzungsfokus wechseln.
Heute parkieren Privatfahrzeuge 23 von 24 Stunden am Tag, sind eher Steh- als Fahrzeuge und verbrauchen kostbare Stadtfläche, die man besser nutzen könnte. Ein Allheilmittel sind Carsharingkonzepte aber nicht, da sie Verkehrsdienstleistungen noch einfacher und preisgünstiger machen können und damit einem weiteren Anstieg des Verkehrs Vorschub leisten. Aber warum beispielsweise künftig nicht mehr Waren mit Cargobikes transportieren?
Hier hat die Mobilitätsakademie in Bern mit Carvelo2go ein sehr cleveres Sharingkonzept entwickelt. Von solchen kreativen Experimenten brauchen wir viel mehr – und innovationsfreudige Städte, die derartige Reallabore unterstützen.