Kennen Sie das? Sie besitzen Dinge, die sind hübsch anzuschauen, jedoch komplett nutzlos im Alltag – beispielsweise eine Spieluhr, geerbt von ihrer Oma. Monatelang verschwenden Sie keinen Gedanken an diese Spieluhr und vermissen sie folglich auch nicht. Sobald Sie aber zufälligerweise an die Spieluhr denken, möchten Sie unbedingt deren Klang hören und nun beginnt die Sucherei.
Und weil Sie das Erbstück nicht finden können, denken Sie an nichts anderes mehr. Mir geht es gerade so. Allerdings vermisse ich keine Spieluhr, sondern einen ganzen Musikautomaten. Genannter Musikautomat ist seit den 1950er-Jahren in Besitz der städtischen Volière im Vögelipark.
Geschützt von einer dicken Scheibe stehen dort vier Püppchen. Sie tragen lange und mit viel Spitzen verzierte Röcke, darunter weisse Strümpfe. Die Haare haben sie zu zwei dicken Zöpfen geflochten. Ein Stück weiter hinten dreht sich eine goldene Stiftwalze. An der Rückwand sitzen zwei grimmig dreinblickende Männer mit Schnauzbart und Hut.
Mit ihren regelmässigen Schlägen auf goldene Glocken scheinen sie die Puppen zum Tanzen anzutreiben. An zahlreichen Nachmittagen, die wir im Vögelipark verbrachten, plünderte die Tochter – damals noch ein kleines Mädchen – mein komplettes Münzfach, um den Musikautomaten ein ums andere Mal in Gang zu setzen.
Der Abspielpreis betrug 1 Franken. Leider beinhaltete mein Münzfach nicht nur Einfränkler. Also schob die Tochter alles in den Schlitz, was silbern und rund war: Zweifränkler, Fünflieber, Zwanzigrappenstücke etc.
Die Puppen waren nicht wählerisch. Sie tanzten für jeden Betrag. Ich bin mir sicher, über die Jahre gesehen ist die Volière mit der wiederkehrenden Kompletträumung meines Portemonnaies nicht schlecht gefahren.
Unterdessen interessiert sich die Tochter mehr für twerkende Popsternchen als für tanzenden Biedermeier-Püppchen. Daher geriet mir der ursprünglich aus Sainte-Croix stammende Musikautomat immer mehr in Vergessenheit. Vor ein paar Tagen, ich weiss nicht wieso, fiel er mir plötzlich wieder ein. Und kaum war er wieder in meinen Gedanken, wollte ich ihn unbedingt auch hören.
Auf dem Weg zur Arbeit nahm ich extra einen Umweg in Kauf. Doch oh Schreck: Er war weg. Über die schützende Scheibe zogen sich tiefe Risse. Das Innere des Kastens war leer. Bereits seit längerer Zeit gibt es Diskussionen darüber, ob der Musikautomat aus dem Jahr 1895 aus Sicherheits- und Kostengründen verlegt werden soll – beispielsweise ins hiesige Historische Museum.
Dies weil der Betrieb des Musikautomaten in den letzten Jahren öfters gestört war, sei es durch Vandalenakte oder durch natürliche Abnutzung.
Sollte es nun also tatsächlich so weit gekommen sein, dass der letzte «frei lebende» Musikautomat der Schweiz aus seinem gewohnten Habitat herausgerissen und einem Museum übergeben worden war? Dieser kleine klimpernde Kasten ist eine Oltner Besonderheit. Ein skurriles Juwel. Er kann nichts, ausser kleinen und grossen Menschen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Und vielleicht ist er gerade deshalb so liebenswert.
Wo also ist er hin, der Musikautomat? Eine Mail-Anfrage an den Voliéreverein hilft weiter. Wenigstens ein bisschen. Da steht, dass sich der Musikautomat in Sicherheit befindet und wieder installiert wird, sobald die Infrastruktur, die er benötigt, repariert ist. Wann das sein wird, steht da allerdings nicht. Falls Sie die tanzenden Püppchen also auch vermisst haben: Sie kommen wieder! Die bis dahin verbleibende Zeit nutzen Sie am besten mit dem Sparen von Einfränklern.