Mein Olten
Schlafende Riesen

Während die Oltner Schulhäuser eine Pause einlegen, denkt unser Autor über seine eigene Schulzeit nach – mit schönen, aber auch traurigen Momenten.

Christoph Rast
Christoph Rast
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Christoph Rast erinnert sich an seine Schulzeit, unter anderem im Oltner Frohheim.

Christoph Rast erinnert sich an seine Schulzeit, unter anderem im Oltner Frohheim.

Bild: Bruno Kissling

In den Sommerferien sind die Schulhäuser schlafende Riesen. Sie dösen in der Hitze, fleissige Hände reinigen ihre Eingeweide, putzen ihre Augen, die Fenster, die Böden und Pulte. Die Schülerscharen haben sich dank Easyjet über die halbe Welt verteilt, in den Schulhausgängen herrscht sommerliche Stille. In ein paar Wochen kehren die jungen Menschen zurück und nehmen ein neues Schuljahr in Angriff. Dann erwacht der Riese zu neuem Leben.

Wenn ich am schlafenden Bannfeld vorbeigehe, kommen mir die langen Jahre der Primarschule wieder in den Sinn, lange ist’s her, aber die Erinnerungen sind kaum verblasst. Sie tauchen immer wieder auf, sind eigentlich angenehm, bunt und erfreulich. Und bei all den schönen Gedanken tauchen auch ein paar hässliche Kratzer auf.

Ein damals gefeierter Pianist und Primarlehrer war bekannt dafür, dass er die Kinder aus dem Erlimatt-Quartier nicht mochte. Die «Erlimatter» galten damals als rückständig und arm. Der Pianist hatte es ganz besonders auf einen sympathischen Buben abgesehen, er war sein Prügelknabe. Bei jeder Gelegenheit knallten Ohrfeigen, wurde an den Ohren gezerrt, ins Gesicht geschlagen - einmal so heftig, dass der Erlimatter mit blutender Nase weinend am Boden lag.

Ein paar Tage später klopfte es mitten in einer Schulstunde leise an der Tür, draussen stand ein stämmiger Zementi-Arbeiter, welcher den Herrn Lehrer auf den Schulhausgang bat. Völlig gebannt hörten wir einen kurzen, heftigen Wortwechsel, dann die Geräusche einer Rauferei, plötzlich rief der Pianist um Hilfe. Wir stürmten aus dem Raum, der Musiker lag zerzaust und mit zerrissenen Kleidern am Boden, neben ihm die kaputte Brille.

Der Vater des gepeinigten Schülers hatte dem Primalehrer einen Denkzettel verpasst. Von diesem Tag an wurden wir von unserem musikalischen Pädagogen korrekt behandelt und nicht mehr angefasst.

Ein weiter Plaggeist trieb im Frohheim sein Unwesen. Bei ihm lernte man alle Finessen, Ausnahmen und Zeitformen der französischen Sprache. Der «Lehrkörper», wie man damals sagte, pflegte in den Pausen in einer geschlossenen Reihe den Schulhausgang hinauf und hinunterzumarschieren. Wehe, wenn ein Kind im Schulhausgang im Wege stand. Der betreffende Franz-Lehrer schubste dieses so heftig, dass es zu Boden fiel. Keinem der Lehrerkollegen wäre es in den Sinn gekommen, dem gefürchteten «Pädagogen» Anstand und Respekt beizubringen.

Im damals brandneuen «Banfi» übten wir vor den grossen Ferien das Marschieren in Schritt und Tritt, denn am Schulfest 1957 wurde das topmoderne Schulhaus eingeweiht. Der Neubau, eine architektonische Sensation, zog viele Fachleute aus dem In- und Ausland nach Olten. Ein so grossartiges Schulhaus hatte auch einen gefürchteten Abwart, der sein neues Gebäude stolz und scharf bewachte. Er verstand es, sowohl die Kleinen als auch die kampfeslustigen Sechstklässler an der kurzen Leine zu führen oder sie zum «Inehocke» oder zum Tintenfass-Putzen zu verdonnern.

Letztlich muss ich noch einen Spezialisten im Werfen seines harten Schlüsselbundes erwähnen. Er war gefürchtet für seine zielsicheren Schüsse, welche die Getroffenen augenblicklich zum Schweigen brachten. Diese pädagogische Methode war beängstigend und fragwürdig.

Die Vor- und Nachsommer waren aber auch geprägt von einem Lehrer, der sich zum Ziel gesetzt hatte, allen Buben und Mädchen das Schwimmen beizubringen. Fast jeden Tag verbrachten wir die erste Schulstunde in der Badi. Die Wassertemperatur und das Wetter spielten keine Rolle. Auch bei grauem Himmel tauchten wir im kalten Wasser nach den Tellerchen und übten den Köpfler vom Dreimeter. Unvergesslich die Gesichter der Mitschülerinnen und -schüler, die sich die nassen, kalten Korkringe um die Brust schnallen mussten, um dann an einem langen Stecken mit Haken, welchen der Lehrer in der Hand hielt, im grossen Bassin zwei Längen zu schwimmen.

Tempi passati, Sommerzeit – Ferienzeit. Nach der Oltner Chilbi erwachen die schlafenden Riesen mit den klingenden Namen wie Frohheim, Bifang, Bannfeld und Säli wieder zu neuem Leben. Schon bald können sie sich dann im Herbst erneut zu einem Nickerchen hinlegen und ihre Turmuhren die Zeit messen lassen.

Christoph Rast, Olten, alt Stadtbibliothekar

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