Mein Olten
Eine Begegnung mit Mike Müller: Manchmal krümmten wir uns vor Lachen

Madeleine Schüpfer
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Cornichon-Preisverleihung an Mike Müller im Mai letzten Jahres.

Cornichon-Preisverleihung an Mike Müller im Mai letzten Jahres.

Patrick Lüthy

Meine Begegnung mit Mike Müller liegt viele Jahre zurück. Das Unglaubliche ist, dass ich davon ganz bestimmte Bilder noch in Erinnerung habe. Ich kann sie abrufen und tauche ein in diese verzwickte Situation, die vielleicht nur Menschen in dieser Art erleben, die solche Begebenheiten magisch anziehen.

Ich unterrichtete Deutsch an der kaufmännischen Berufsschule als Lehrerin im Nebenamt. Und auf einmal realisierte ich, dass ich in dieser Situation gar keine Pension hatte. Nach dem tödlichen Unfall meines Mannes zog ich mit meinen beiden kleinen Kindern wieder nach Olten in ein Haus neben meinen Eltern. Ein wunderbarer Entscheid, der mir und meinen Kindern so viel brachte.

Ich suchte nach einer beruflichen Tätigkeit, die mit dem Lebensrhythmus meiner Kinder einigermassen übereinstimmte und kam aufgrund meines Studiums auf Deutschlehrerin, wobei ich als Kulturjournalistin zusätzlich arbeitete und diese Berufsrichtung mich völlig packte. So entschloss ich mich für eine Zusatzausbildung, obwohl ich mir auch etwas Verrückteres hätte vorstellen können.

Diese pädagogische und methodische Ausbildung dauerte fast zwei Jahre, in denen ich mich jeden Samstagmorgen im Berufsschulhaus in eine Bank setzen musste, um zu lernen, was es heisst, intelligenten Unterricht zu erteilen.

So fand ich mich am Anfang in einem Schulzimmer der Berufsschule ein. Und als ich mir einen Platz suchte, fragte ein junger Mann: «Kann ich mich neben Sie setzen?» Ich nickte, denn er gefiel mir auf Anhieb. Freundlich blickte er mich an, und wir setzten uns wie kleine Schulkinder in die Bank, in die hinterste.

Dies sagt schon viel aus, denn einen Freiraum wollten wir uns noch erhalten. Vorne gingen die ersten Lektionen los. Der junge Mann hiess Mike Müller, er studierte Philosophie und vielleicht noch Deutsch, das weiss ich nicht mehr so genau. Aber die Philosophie beeindruckte.

Wir verstanden uns auf Anhieb, brauchten uns nur in die Augen zu schauen, dann erkannten wir die Komik der pädagogischen Auswüchse. Die natürlich keine waren, sondern gut gemeinte Auslegungen, wie man sich als Lehrkraft weiter zu bilden hatte.

Blätter mit Lücken wurden ausgeteilt. Meistens schrieben wir die gleichen Antworten hinein, manchmal unbewusst, manchmal bewusst boshaft, weil wir oft keine Geduld mehr hatten, ruhig in der Bank zu sitzen und uns diese Nuancen von hintergründigen, ohne Zweifel auch gescheiten, aber auch stinklangweiligen Inhalten anzuhören.

Unsere Lehrperson war mässig, wahrscheinlich ist sie schon gestorben. Ich habe sie nie mehr gesehen. Mässige Lehrer waren immer mein Verhängnis, weil sie mich zu langweilen begannen.

Mike erlebte die gleichen Befindlichkeiten. So hielten wir uns mit unterhaltsamen Gesprächen über Wasser. Und diese trösteten uns auf eine unglaubliche Art. Wir überstanden diese Ausbildungszeit.

Wenn ich ehrlich bin: Ich überstand sie nur dank Mike, der wie ich am liebsten verduftet wäre, aber blieb, weil er ja irgendwie auch finanziell ankommen wollte. Oder auch nicht, bei ihm war man da nie so sicher. Das gefiel mir: seine Unabhängigkeit, die schon in diesen Jahren bei ihm auffällig war. Aber auch sein Humor, seine geistreichen Bemerkungen, die wir gegenseitig ausspielten, während vorne der langweilige Lehrer seine Unterrichtsstunden abwickelte.

Vielleicht ging wirklich etwas an Methodik und Pädagogik an mir verloren, aber der Gewinn, der menschliche und geistige, war viel grösser. Denn unsere Gespräche waren tatsächlich ungemein spannend, vielschichtig und höchst lebendig. Manchmal krümmten wir uns vor Lachen und mussten aufpassen, dass wir nicht unangenehm auffielen. Und als diese Ausbildungszeit zu Ende war, wir uns verabschiedeten, blieben viele Worte und Bilder in mir hängen.

Immer, wenn ich an Mike denke, habe ich das Gefühl, mit ihm in dieser idiotischen Schulbank zu sitzen, zuhinterst natürlich. Ich als Frau in nicht mehr ganz jungen Jahren, er als junger Mann am Anfang seiner legendären Karriere. Doch was bleibt, ist die Erinnerung. Und das finde ich wunderbar!

Es gibt wirklich Dinge, die vergisst man nie mehr. Und wenn ich mich manchmal über Menschen und Dinge leicht geärgert habe, kamen mir unsere «philosophischen» Sprüche in den Sinn; aber auch die Schulbank und das Schulzimmer. Ich bekam plötzlich Flügel, weil ja schlussendlich vieles nicht so ist, wie wir meinen, dass es sein müsste. Das ist gut so! Nur so ist es möglich, dass man ganz besonders schöne Dinge in seinem Leben nicht mehr vergisst.

Wie ich Mike bei Giacobbo erlebte, mit seinem Gesicht ohne Mimik, urkomisch, oder als Bestatter, blitzgescheit, ein bisschen unheimlich, dann weiss ich heute, dass er sich kaum verändert hat, obwohl er unglaublich viel dazugelernt hat und heute ein berühmter Mann ist.

Madeleine Schüpfer, Olten, Autorin und Kulturjournalistin

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