An Ostern stieg ich von Aarburg her auf den Born hinauf. Unterwegs musste ich mir eingestehen, dass Oltens Hausberg höher ist als gedacht und ich weniger fit bin als angenommen. Eine unselige Kombination. Keuchend legte ich eine Pause ein, direkt vor einer kleinen Höhle. Während ich darauf wartete, dass mein Puls den anaeroben Bereich wieder verlässt, blickte ich mich um. An der Höhlenwand stand in schwarzen Buchstaben das Wort «Waldhexe» geschrieben. Die Höhle aber war leer, von einer Hexe keine Spur.
Wo war sie? Welche Geschichte steckt hinter der Waldhexe vom Born? Zurück in Olten, stattete ich der Stadtbibliothek einen Besuch ab. Gibt es, so fragte ich den Bibliothekskatalog, in Olten und Umgebung eigentlich Hexen? Als Antwort spuckte er mir das Jahrbuch für Solothurnische Geschichte aus dem Jahr 1979 aus. Dort stand im Inhaltsverzeichnis: Die letzte Hexenverbrennung in Solothurn.
Im Jahr 1707 soll es gewesen sein, als man Magdalene Marti von Pfaffnau LU als letzte Hexe in Solothurn auf den Scheiterhaufen führte. Alles hatte damit begonnen, dass die 23-Jährige wegen Diebstahls von zwei «Jüppen» und einem Paar Strümpfe angeklagt worden war. Den Diebstahl gab Magdalena sofort zu, doch auch nicht unter Folter konnte sie dazu gebracht werden, anzugeben, wo sie ihre Beute versteckt hielt. Sie wurde erst leer und dann mit Steinen an den Füssen an den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen aufgezogen. Das Resultat war eine Flut an weiteren Geständnissen. Diebstähle im Oberaargau, im Niederamt und im Wasseramt wollte sie begangen haben: ein Huhn, einen halben Laib Brot, ein Pfund Butter, etwas Bargeld.
Da Magdalenas Geschichten immer verworrener wurden, das Diebesgut jedoch unauffindbar blieb, griff man zu härteren Mitteln. Man quetschte ihr die Daumen in Schraubstöcken. Da auch dies keine Klärung brachte, konnten die Untersuchungsrichter nicht anderes mehr vermuten, «als das es mit dem Bösen Geist zu thun habe». In der Hoffnung, ein Geständnis würde sie vor weiterer Marter bewahren, gestand Magdalena unumwunden, dass der Böse «schon meister über es seye»; sie werde vom Teufel angetrieben zu stehlen. Dies war der Auftakt zum Hexenprozess. Nach weiteren Verhören und Bekenntnissen wurde das Urteil am 22. November vor den Toren Solothurns vollzogen. Die für Hexen übliche Verbrennung bei lebendigem Leibe wurde – wie seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts üblich – in dem Sinne «gemildert», dass das Opfer zuerst erdrosselt und dann auf den Scheiterhaufen gelegt werden sollte. Die Asche der jungen Frau wurde in die Lüfte verstreut. Arme Magdalena!
Vielleicht war es der Waldhexe vom Born einst auch so ergangen. Möglich wäre es. Oder aber – meine bevorzugte Version der Geschichte – sie konnte ihren Häschern entwischen und tauchte im Städtchen unter. Sie verdingte sich als Magd bis zur Heirat mit einem rechtschaffenen Stallknecht, dem nur ein Schneidezahn fehlte. Sie wusch ihre Wäsche mit den anderen Frauen an der Dünnern, in den Wyden, wo das Waschhaus stand, zog eine Schar Kinder gross und – das hoffe ich für sie – lebte in einem Zuhause, das um einiges bequemer zu erreichen war als die Höhle am Born.
Wäre dem so gewesen, würden heute zahlreiche Urururenkelinnen und -enkel der Waldhexe in Olten und Umgebung leben und arbeiten – kluge Frauen und Männer, stolz und ein bisschen eigenwillig. Vermutlich steckt hinter der Waldhexe aber eine ganz andere Geschichte. Falls sie jemand kennt, ich bin ganz Ohr!