Das Konzert der Chöre in der Raiffeisen Arena in Hägendorf, organisiert vom heimischen Männerchor Liederkranz, gab ein durchaus harmonisches Bild mit breitem Repertoire ab.
Schier hätte der Eindruck aufkommen können, das Spektrum der neuzeitlichen musikalischen Sehnsüchte reiche weit, ja zu weit. Irrtum: Das Konzert der Chöre in der Raiffeisen Arena in Hägendorf, organisiert vom heimischen Männerchor Liederkranz, gab eigentlich ein durchaus harmonisches Bild mit breitem Repertoire ab. Sieben Formationen gewährten dort Einblicke in ihren musikalischen Fundus. Und dieser reichte auf der Zeitachse von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart. Von Brahms’ «Ungarischem Tanz» bis zum «Stern, der deinen Namen trägt». Chorgesang und Liedgut wären eigentlich in der Neuzeit angekommen. Aber eben: Wer merkts?
Werner Scheibler als Präsident des Sängerverbandes Olten-Gösgen bekannte in seiner Grussadresse vor rund 300 Gästen und Singenden freimütig: «Ich frage mich manchmal: Was machen wir falsch, dass wir wenig bis gar keinen Zuwachs an interessierten Sängerinnen und Sängern haben?» Heikle Sache. Wer die Damen und Herren aus den verschiedenen Formationen nach dem Grund ihres Engagements befragt, bekommt so lapidare wie einleuchtende Antworten: Freude pur oder aber familiär bedingte Freude pur.
- Alperose (Polo Hofer)
gewünscht von Patrick Frey, Chorgemeinschaft Däniken-Dulliken
- «Ich bin wunschlos glücklich.»
Titus Marbet, Männerchor Kappel
- Ewigi Liebi (Mash)
gewünscht von Erika Junker, Encanto Chor Dulliken
Vielleicht aber muss man auch berührt werden wollen von Melodien, die nicht im Staccato daherkommen, berührt werden wollen von Geschichten, die von vergangenem Idyll reden. Die Kienberg Singers etwa gaben «Rosezyt» zum Besten. Der Text; klar – aus der Zeit gefallen. Wer findet heute noch wilde Rosen hinterm Wald im grünen Hag? Aber zusammen mit dieser harmonisch dahinfliessenden Melodie, diesem gemächlichen Tempo, diesem unverstellt Vorgetragenem, ohne begleitenden Bass, Rhythmusinstrumenten, sirrenden Rasseln, multimedialen Einspielungen via Powerpoint – einfach berührend, auch weils um ewige Liebe geht.
Und da war noch «Dr Trueberbueb», den der Männerchor Wangen präsentierte. Fast vermessen zu behaupten, der Chor sei in diesem Lied aufgegangen. Aber die Emmentaler Nationalhymne, wie Moderator Hans Sigrist das Lied nannte, vermittelt Singenden wie Zuhörenden vielleicht so was wie Heimatgefühl, Identität: Wer wollte die nicht in sechs Strophen gebannt wissen? Beim Fluidum Heimat ist der Reflex des Hinhörens und Interpretierens einfach ausgeprägt und verbindet Generationen, was dem heimlichen Wunsch von Sängerinnen und Sängern entspricht und jeweils auch hartnäckig verfochten wird.
Im ganz klassischen Männerchorlicht zeigte sich die Chorgemeinschaft Däniken-Dulliken: «Freude am Leben» und Brahms’ «Ungarischer Tanz». Liedgut für Eingefleischte, der Tradition verpflichtet. Solid vorgetragen, um einmal eine Wertung abzugeben. Wo man mit doch eher ernster Miene über Freude singt. Dann humorvoll, und in konzertreifem Outfit präsentierte der Männerchor Erlinsbach «Wenn wir sonntags in die Kirche gehen». Das heitere Werk aus den 1880er-Jahren wurde erstmals in Schlesien aufgezeichnet und ist eigentlich eher unter dem Begriff «’s war immer so» bekannt. Erfreut noch immer die Gemüter. Eigentlich so etwas wie ein Evergreen für Zeitgenossen jenseits des Jahrgangs 1960.
Und die Gegenwart? Oder das, was als solche verstanden wird? Der Encanto Chor aus Dulliken gab «In einer kleinen Konditorei» und «Am Himmel stoht es Stärnli». Genau: Gütesiegel Evergreen. Aber: Feine, helle und mitgehende Stimmen vermittelten den Eindruck, die Sache mit der Konditorei sei doch erst gestern gewesen. Dabei stammt die Komposition aus den ganz späten 1920er-Jahren und die Stärnli aus dem folgenden Jahrzehnt. Der Männerchor Kappel gab sich vielleicht am aktuellsten: Melancholisch «Die kleine Kneipe» und eben, dieser «Stern, der deinen Namen trägt», der flott daherkam, zeitgenössisch eben, der Popularität verpflichtet und der Lust auf Aktuelles geschuldet. Kurz: erfolgreiche Auftritte.
Den finalen Akkord setzten die Gastgeber. Der Männerchor Liederkranz hatte zum Konzert der Chöre geladen, den atmosphärischen Brückenschlag zwischen Gemütlichkeit und der an sich doch nüchtern wirkenden Raiffeisen Arena mit ein paar dekorativ wirksamen Elementen wie Efeuranke und Zierkürbis erfolgreich geschafft.
Und er schaffte in seinem Liederbogen auch einen besonderen Link zu Reinhard Meys «Diplomatenjagd». Äusserst selten, dass Werke von Liedermachern Eingang finden in den Fundus eines Männerchores. Dass dabei noch Passagen aus Webers «Freischütz» zum Tragen kamen, war zumindest passend. Und schliesslich musste auch der Dirigent nach 15-jährigem Engagement verabschiedet werden. Martin Eduard Fischer durfte von Präsident Jean-Pierre Stephani lobende, ja fast rührende Worte des Dankes entgegennehmen.
In Sängerkreisen, das haben die Worte Scheiblers deutlich gemacht, ist man sich der zunehmenden Marginalisierung bewusst. Rezepte dagegen fehlen. Vielleicht wäre es nicht übel, würden die Chöre vermehrt zu spontanen Auftritten schreiten, so wie sie dies am Freitag nach dem Verzehr der obligaten Schweinswürstli taten. Motto: Drum singe, wem Gesang gegeben.