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Das Haus Kino Lichtspiele, einst Pionierbau, dann «Revolverküche» und heute Arthouse Kino, feiert seinen 100. Geburtstag. Alt Stadtarchivar Martin Eduard Fischer über die cineastischen Anfänge in der Stadt Olten.
Nein, 100 Jahre reichen nicht aus, um sich am Platz Olten mit dem Attribut «erstes Kino der Stadt» rühmen zu können. Denn alt Stadtarchivar Martin Eduard Fischer weiss Bescheid. «Das heutige Haus Lichtspiele beherbergte nicht das erste Kino in Olten.» Aber? «Es war das erste Gebäude in Olten, welches ausschliesslich als Kinogebäude genutzt wurde.»
Das erste Kino der Stadt fand sich im Saal des mittlerweile schon fast vergessenen Hotels Gotthard im Winkel. «Ab 1910 als Kinomatographen-Theater ‹Helvetia› bezeichnet», so Fischer. «Natürlich wurde der Saal des Hotels auch für andere Zwecke genutzt.» An Wochenenden jedoch wurde unter der Prämisse «Grosse Bildfläche – feiner Saal» der Projektor angeworfen. «Elektrische Energie war natürlich eine Grundvoraussetzung, um ein Kino zu betreiben», erzählt Fischer.
Zu jener Zeit nicht selbstverständlich. Auch sonst waren die Anfänge der Kinematographie keineswegs ohne Stolpersteine. Vor allem die Brandgefahr der Filmstreifen machte sich gelegentlich schmerzlich bemerkbar. Bereits 1910 wurden Kinovorstellungen in Olten sicherheitstechnisch deshalb stark reglementiert: ausgehängte/offene Türen zum Veranstaltungssaal, verschraubte Stühle, Saalbeleuchtung gedimmt, auf die Anzahl der Sitzplätze beschränkte Besucherzahl, unverstellte Gänge, ausreichend Löschvorräte.
«Bei jeder Vorführung hatte die Polizei Aufsicht zu halten, ob die Vorschriften auch eingehalten würden», so Fischer lächelnd. Zudem war das Kinovergnügen nicht ganz billig; einen knappen Stundenlohn hatte zu bezahlen, wer in der dritten Klasse (50 Rappen) zusehen wollte, reservierte Plätze kosteten 1.20 Franken. Kindern unter 12 Jahren (Eintritt: 20 Rappen) war der Besuch der Abendveranstaltung (20 Uhr) nur in Begleitung von Erwachsenen gestattet.
Das Lichtspielegebäude, heute Klosterplatz 20, geht auf den Pioniergeist der legendären Constantin von Arx und Simon Kulli zurück, ersterer Bauunternehmer, letzterer Spenglermeister. Das Konsortium hatte ein Gesuch um die Erstellung eines Kinematographenbaus eingereicht, welches die örtliche Baukommission guthiess.
Ein solches Vorhaben allerdings erregte auch Anstoss und verlangte nach Präventionsvorkehrungen verschiedenster Art: Die beiden Pioniere hatten sich vor Baubeginn mit den Kapuzinerbrüdern darauf verständigt, im Hause keine mechanische Musik zu verwenden und das Aufstellen von obszönen und schreienden Bildern gegen das Kloster hin zu vermeiden. Ende 1916 nahm das Haus Lichtspiele – das ‹e› kam erst in den 1970er-Jahren dazu – seinen Betrieb auf. Gut zwei Jahrzehnte nach der ersten öffentlichen Filmvorführung 1895 in Paris, als die Brüder Auguste und Louis Lumière erstmals die Bilder laufen liessen.
Auch die Behörden nahmen sich der Kinos beziehungsweise der Programme an. Die Schulkommission etwa entschied, welche Filme für Schulpflichtige infrage kamen. Programme des ‹Helvetia›, die Fischer bei seinen Recherchen gefunden hatte, beweisen dies. «Es gab ja nicht bloss einen Film, sondern pro Vorführung acht bis zehn. Die einzelnen Streifen dauerten vielleicht zwei Minuten,» weiss der alt Stadtarchivar.
Die Zensur liess lediglich Filme aus der Sparte Natur gelten. Werke aus allen andern Genres, seien es Dramen, Komik oder Trickfilme, fielen ihr zum Opfer. Streifen wie «Amor im Motorboot», «Beredsamkeit einer Blume» oder etwa «Hirtenliebe» liessen allenfalls den Verdacht cineastisch aufbereiteter Erotik aufkommen. «Erotische Darstellungen gabs durchaus im Angebot», so Fischer, der am meisten davon überrascht ist, dass sich die alten Kinoprogramme in den Protokollen der Schulkommission überhaupt finden liessen.
Ab Mitte der 1950-er Jahre geriet das Lichtspiele eher etwas ins Hintertreffen; der Zeitgeist forderte andere Infrastrukturen, neue Häuser waren entstanden (1926: Palace, wo 1930 mit «Der Korvettenkapitän» in Olten der erste Tonfilm lief; 1932: Capitol; 1950: Rex; 1981: Camera; 1984: Tiffany für Rex, 2008 in Youcinema umbenannt). Das Lichtspiele avancierte zwischenzeitlich zur «Revolverküche»; eine gängige Bezeichnung für Kinos, die Krimis, Western und Erotikstreifen abspielten.
Im Haus, welches heute Coop gehört, hat sich unter initiativer Mitwirkung von Konrad Schibli, dem einzigen Kinobetreiber der Stadt, im Jahr 2009 ein Filmverein gegründet, welcher seit 2010 Arthouse-, Dokumentar und wenig bekannte Filmproduktionen zeigt. Ihm ist auch der kleine historisch-cineastische Rückblick zu verdanken.
Freitag 29. April, 20.30 Uhr im Lichtspiele; «Vom Daumenkino zum Kinematografen». Eine Plauderei mit Martin Eduard Fischer. Im Anschluss: Apéro des Filmvereins.