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Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren ist die Solothurner Stadt an der Aare budgetlos.
Fünf Jahre ist es her, da schrieb Oltens damals oberster Schulleiter Ueli Kleiner einen Elternbrief: «Es gilt der Grundsatz: Shutdown.» Nach einem Referendum startete die Kleinstadt im Kanton Solothurn ohne genehmigtes Budget ins Jahr 2014. Schulleiter Kleiner erklärte, wie sich dieser Umstand auf die Schulen auswirkt.
Wenige Monate vor diesem Brief hatte der Oltner Schriftsteller Alex Capus in einer Kolumne geschrieben, einen Shutdown wie in Amerika könne er sich in Olten gut vorstellen: «Man wagt sich nicht auszumalen, wie das wäre, wenn der Oltner Gemeinderat sich beim Budget für einmal nicht einig würde und es wie in den USA zum Shutdown käme. Die Kinder könnten nicht mehr zur Schule gehen, der Müll würde nicht mehr entsorgt. Die Trinkwasserversorgung wäre gefährdet, die öffentliche Sicherheit ebenfalls. Und so weiter.»
Weil in der Schweiz ein Shutdown nach US-amerikanischem Modell nicht möglich ist, kam es nicht so dramatisch wie von Capus beschrieben. Der Schock in der Kleinstadt war heftig. Jahrelang war es in Olten Usus gewesen, dass die Steuern sinken. Der Energiekonzern Alpiq spülte Millionen in die Stadtkassen. Mit dem vielen Geld verfügte Olten über Mittel, die die üblichen finanziellen Verhältnisse einer Kleinstadt überragten. Doch dann brachen beim Energiekonzern die Gewinne ein. In Olten riss der Steuerausfall ein grosses Loch in die Stadtkasse. Die Regierung war zum Handeln gezwungen. Sie erhöhte die Steuern und sparte.
Nur sparte sie nach dem Geschmack der Bürgerlichen nicht ausreichend. Im achten Stock des Stadthauses erinnert sich Stadtpräsident Martin Wey an den Zustand ohne rechtskräftiges Budget vor fünf Jahren. «Wir gingen damals ad hoc vor und sagten uns aus einer Sorgfaltspflicht heraus: ‹Wir dürfen nichts mehr ausgeben.›» Anders als von Schriftsteller Capus imaginiert, wurde an den Schulen noch unterrichtet. Aber irgendwann im Frühjahr sprach sich im Städtchen herum, die Stadt schaffe kein Toilettenpapier mehr an. Lehrerinnen und Lehrer durften keine Fotokopien mehr machen. Die Regierung sprach Kündigungen aus. «Wir waren ein wenig rigoros», sagt Wey heute.
Eine Gemeinde, die ohne Budget dasteht, das gibt es in der Schweiz immer mal wieder. Während sich Luzern im budgetlosen Zustand befindet, wiederholt sich in diesem Jahr in Olten die Geschichte. Stadtpräsident Wey muss mit seinen vier Amtskollegen abermals jeden Rappen umdrehen, der nicht gesetzlich gebunden oder an eine Leistungsvereinbarung geknüpft ist. Ein mehrheitlich bürgerliches Komitee und der Solothurner SVP-Kantonsrat Rolf Sommer sammelten im Dezember innerhalb weniger als vier Wochen über 1100 Unterschriften für ein Referendum. Sie reagierten auf den Entscheid der Regierung, einen Finanzplan vorzulegen, der es in sich hatte. Dieser sieht in den nächsten drei Jahren für Privatpersonen eine gestaffelte Steuererhöhung auf 118 Prozent vor. Dennoch könnten die Schulden um über 60 Millionen Franken anwachsen. Bis mindestens Ende März, wenn die Stimmbevölkerung entscheidet, hat die Stadt an der Aare zum zweiten Mal kein genehmigtes Budget.
Wer durch das Städtchen fährt, merkt nichts vom «Mini-Shutdown». Der Winterdienst streut Salz auf die eingeschneiten Strassen. Unter der Oltner Holzbrücke stehen Holzbauer knöcheltief in der Aare. Weil das Wahrzeichen im vergangenen August Feuer fing, lässt die Stadt es sanieren. Allerdings nur, weil das Parlament den Nachtragskredit bereits im Vorjahr bewilligte, wie Stadtpräsident Wey sagt.
Es sind vordergründig kleine Dinge, welche sich die Stadt aktuell nicht leisten darf. Als Erstes strich die Stadt den Neujahrsapéro, worauf Gewerbler einsprangen und diesen offerierten. Es gibt keinen Empfang für die neuen Pensionäre und auch keinen üppigen Apéro, wenn die Stadt dem Obernarren der Oltner Fasnacht den Schlüssel überreicht.
Die Stadt greift nur dann in die Kasse, wenn sie wegen eines Verzichts höhere Kosten zu erwarten hätte, also zum Beispiel Schäden an der Infrastruktur entstünden. Und sie tut dies auch bei immateriellen Schäden: «Leidet ein Grossteil der Bevölkerung, decken wir die Kosten ebenfalls», sagt Wey. Dazu gehören das Schulfest und die Fasnacht. Sie geniessen in der Dreitannenstadt einen hohen Stellenwert. Auch die Skilager der Schulen können stattfinden. Zu hoch wären die Stornierungsgebühren der Gruppenunterkünfte gewesen – die Stadt hätte kaum weniger Geld ausgegeben.
Nach den Jahren in Saus und Braus hat Olten gelernt, mit knapperen Ressourcen umzugehen. Doch findet sie dabei das richtige Mass? Darüber debattieren Oltnerinnen und Oltner derzeit heftig auf Facebook. Eine der Gruppen zählt 7000 Mitglieder. Auch Stadtparlamentarier liefern sich hier hitzige Debatten. «Meine Kinder sind sehr enttäuscht, dass der freiwillige Schulsport wegen FDP/SVP im Sommerhalbjahr ausfällt», schrieb kürzlich ein Facebook-Nutzer. Auf die Beschuldigungen erwiderten die Bürgerlichen, es gehe nicht an, dass die Regierung die Schulkinder instrumentalisiere, um Stimmung gegen das Referendum vom März zu machen.