Kommentar von Beat Nützi zur Fussballwelt – wo sie krankt und wo sie noch okay ist.
Sport ist die schönste Nebensache der Welt, vor allem der Fussball. Deshalb sind Erschütterungen in der Sport- und insbesondere in der Fussballwelt jeweils auch in Stadt und Region Olten spürbar. Schliesslich wird der Sport hier grossgeschrieben, Olten nennt sich gerne auch Sportstadt. Doch: Verdient der Fussball tatsächlich noch den Ruf, die schönste Nebensache der Welt zu sein. Unschöne Vorgänge in Fussballstadien zwingen einen, diese Frage zu stellen. Der Fussball hat neben seinem strahlenden Gesicht eine böse Fratze erhalten. Man nennt sie Hooliganismus. Gewaltbereite Fans sorgen in und um Fussballstadien für Angst und Chaos. Und es scheint immer schlimmer zu werden. Hierzulande hat das Chaotentum beim Spiel zwischen Luzern und Grasshoppers eine neue Stufe erreicht: Gewaltbereite GC-Fans nahmen ihr Team, das heuer ein spielerisches Debakel erlebte, in den Würgegriff und sorgten für einen Spielabbruch. Und man fragt sich: Was sind das für Menschen, die jenen, die gedemütigt am Boden liegen, noch auf dem Kopf herumtrampeln. Echte Fans stehen immer zu ihrer Mannschaft – in guten wie in schlechten Zeiten. Deshalb sei vorab festgehalten: Gegen unechte Fans ist vorzugehen, um die echten und deren Ruf zu schützen.
Nach dieser Eskalation sind sich alle einig, Politik und Fussballwelt: Den Chaoten in den Stadien ist der Riegel zu schieben. Zu lange hat man das Chaotentum geduldet, indem zu wenig rigoros gegen radikale, gewaltbereite Fans vorgegangen wurde. Es bedarf enormer Anstrengungen, um dem Hooliganismus Herr zu werden. Denn er ist eine Seuche mit Suchtpotenzial, eine Art Männerritual, bei dem Hooligans beim Randalieren und Prügeln einen «Kick» erleben. Sie sprengen ihr bürgerliches Korsett und suchen Befriedigung für ihre gewaltbetonten Bedürfnisse. Der Gewaltakt wird zu einer Art Droge, das Zuschlagen zum ultimativen Gefühl des braven Bürgers, das ihn erregt und dessen Gier gestillt werden muss.
In diesem Klima treiben noch andere dubiose Kreise ihr Unwesen: Rechtsextreme versuchen, in den Reihen gewaltbereiter Fussballfans neue Mitglieder zu rekrutieren. Die Unterscheidung zwischen Rechtsextremen und «gewöhnlichen» Hooligans ist mitunter wegen der ähnlichen Kleidung schwierig. Trotz solcher Verbindungen sind hierzulande Hooligans gesamthaft betrachtet eher (noch) apolitisch, wenn auch eine schleichende Politisierung der Szene einzusetzen scheint. Auch deshalb besteht dringlicher Handlungsbedarf. Denn die Fussballstadien dürfen nicht zur Brutstätte und zum Tummelplatz Rechtsradikaler werden. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang, dass einer der Rädelsführer der GC-Hooligans in Luzern ein berüchtigter Neonazi sein soll.
Immer wieder wird beklagt, dass die heutigen Mittel des Strafrechts bzw. der Strafverfolgung sowie die bestehenden kantonalen Polizeigesetze nicht genügten, um dem Gewaltphänomen in den Fussballstadien nachhaltig Einhalt zu gebieten. Doch seit der Inkraftsetzung des revidierten schweizerischen Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit am 1. Januar 2007 gibt es hierzulande eine Datenbank für Hooligans (HOOGAN). Darin werden Personen erfasst, gegen die wegen einer Sportveranstaltung in der Schweiz eine polizeiliche Massnahme (Rayonverbot, Meldeauflage, maximal 24-stündiger Polizeigewahrsam, Ausreisebeschränkung) oder ein Stadionverbot vom Veranstalter verhängt worden ist. Alle Kantone, die Grenzbehörden, die Bundespolizei Fedpol und die Polizeiliche Koordinationsplattform Sport (vorher Schweizerische Zentralstelle Hooliganismus) haben einen Direktzugriff. Zudem können die Organisatoren Einsicht verlangen. Somit ist festzustellen: Mit einer vernetzten Datenbank besteht ein wichtiges Instrument für die Bekämpfung des Hooliganismus. Dabei gilt: Je besser das Zusammenspiel zwischen Bund, Kantonen und Klubs funktioniert, desto mehr Wirkung ist zu erzielen. Und der Datenschutz soll so weit greifen, dass er einerseits die Ermittlung gewalttätiger Hooligans nicht behindert, anderseits aber vorbeugt, dass falsche Leute kriminalisiert werden. Strafen sollen ohnehin als Ultima Ratio gelten. Im Vordergrund aller Massnahmen soll stets das Hauptziel stehen mit dem Grundsatz: Vermeidung statt Bestrafung.
Zur Bekämpfung von Hooliganismus lassen sich ordnungspolitische, jugendpolitische und bauliche Massnahmen anwenden. Ordnungspolitische Massnahmen wie erhöhte Polizeipräsenz oder das Erstellen eine Hooligandatenbank sind wirkungsvolle Mittel zur kurz- und mittelfristigen Bekämpfung der Symptome von Hooliganismus. Staatliche Repression bei Hooliganismus ist wirkungsvoller als bei politisch motivierten, gewaltbereiten Subkulturen, deren Zusammenhalt auf einer Ablehnung der Gesellschaft basiert. Hooligans sind zumeist vollständig in der Gesellschaft integriert und haben wenig Interesse daran, dass ihr Leben als Hooligan durch einen negativen Gerichtsbeschluss ihr Alltagsleben zerstören könnte.
Wichtig ist auch der Umgang der Fussballklubs mit den Fans. Fanprojekte sind zwar kaum in der Lage, die Hooligangewalt kurzfristig einzudämmen oder zu verhindern. Sie können aber dafür sorgen, im und um das Stadion herum eine gesunde, positive Fankultur mittels positiver Ressourcennutzung aller Fans zu schaffen. Vor allem jüngeren Fussballfans soll gezeigt werden, dass der Besuch von Fussballspielen auch ohne Gewaltanwendung ein ausreichendes Erlebnis sein kann.
Noch wichtiger als Massnahmen zur Symptombekämpfung von Hooliganismus wäre, dessen Entstehung an der Wurzel zu packen und die Ursachen des Übels anzugehen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Hooliganismus ein Ventil ist, um aus den Zwängen des Alltags auszubrechen. Hooligans sind nicht a priori asoziale Typen und Menschen mit Null-Bock-Mentalität, sondern zuverlässige Berufsleute, bei denen das Motto lautet: Während der Woche hart arbeiten und am Wochenende beim Fussball die «Sau rauslassen». Hooliganismus ist eine Ersatzbefriedigung für unerfüllte emotionale Grundbedürfnisse. Und der Nährboden dafür ist der gleiche, auf dem politischer Extremismus keimt: Werte- und Sinnkrise, Perspektivlosigkeit, Zukunftsangst. Auch oder besonders hier ist der Hebel anzusetzen. Wie sehr sich das Volk Massnahmen gegen das Chaotentum in den Stadien wünscht, offenbarte das Ergebnis der Referendumsabstimmung im Kantons Solothurn vor fünf Jahren: Nicht weniger als 86 Prozent hiessen den Beitritt zum verschärften Hooligan-Konkordat gut. In andern Kantonen gab es ähnlich klare Ergebnisse.
Vorkommnisse wie jenes in Luzern nähren die Meinung, dass die Verschärfung des Hooligan-Konkordats die Erwartungen nicht erfüllt hat. So oder so braucht es weitere Anstrengungen, damit der Fussball seine böse Fratze verliert und sein schönes Gesicht wieder uneingeschränkt strahlen lassen kann, so wie es in den unteren Ligen nach wie vor der Fall ist. Hier ist die Fussballwelt noch okay. Zum Glück spielt man in unserer Region nur in diesen Ligen, in denen weiterhin zutrifft: Fussball ist die schönste Nebensache der Welt. Deshalb: Es lebe der Regionalfussball!
beat.nuetzi@schweizamwochenende.ch