Der Kappeler René Schüpbach erzählte in der Buchhandlung Schreiber Olten, was sich in Kinderheimen abspielte.
In der Buchhandlung Schreiber las René Schüpach aus Kappel am Dienstagabend aus seinem Buch «Das Damoklesschwert. Vom ungeliebten Heimkind zum erfüllten Lebensabend» vor und zeichnete ein berührendes und fesselndes Bild über seine Kindheit zwischen Dunkelheit und einem Schimmer von Glanz, den er erst in späten Jahren in sein Leben hinein retten konnte.
Die Erfahrungen eines Heimkindes sind für sein Leben prägend. Man tauchte beim Zuhören in eine Verlorenheit und auch Einsamkeit eines Kindes ein, die betroffen machte. Die Familie als Ort der Geborgenheit versagte in vielen Bereichen im Leben von René Schüpach. Er wurde mit neun Jahren aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen, kam in ein Heim und erfuhr körperliche Gewalt, Diskriminierung und Missbräuche bis zu seinem 21. Lebensjahr.
Viele Stationen erlebte er, das Erziehungs- und Lehrlingsheim Erlenhof in Reinach, das er mit 21 Jahren verlassen konnte. Prägend war die Zeit in einem katholischen Heim im Kanton Solothurn, bei Nonnen, die er als grausam empfand. Der Wegzug von zu Hause war für ihn immer ein Drama, und so flüchtete er immer wieder nach Hause, nach Basel. Weitere Stationen folgten. Bachtelen, ein weiteres Heim in Grenchen, aber auch andere Orte. Wobei die Zeit in Basel, als er dort zur Schule konnte, eine bessere war.
Doch René Schüpach zeigte in seiner Lesung und seinen erzählenden Passagen auch auf, dass er in sich immer etwas spürte, das ihn weitertrieb, das ihm auf geheimnisvolle Weise Kraft gab und ihn nicht verzweifeln liess. So wünschte er sich einen guten Beruf, wollte Drogist werden, doch es blieb ihm der Schneider, den er auch mit Erfolg abschloss. Spannend war seine Zeit am Bühnenhaus in Basel, aber auch nachher, als er sich in verschiedenen Berufen versuchte.
Witzig seine Zeit als Bus- oder Trambegleiter. Berührend für den Zuhörer die Energien, die in ihm schlummerten, und sein Drang nach Erfüllung, der ihn vielleicht auch schon in jungen Jahren zur Flucht animierte, wenn ihm eine Situation ausweglos vorkam. Er heiratete, wurde beruflich erfolgreicher Ärzteberater, da er nebst seinen Tätigkeiten sich auch weiterbildete im Bereich der Medizin. Doch wichtig war, dass er mit 21 Jahren erkannte, dass er sich nun nichts mehr bieten lassen musste. Keine Erniedrigungen, keine Diskriminierungen mehr. Er wollte sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und selbst entscheiden, wen er zu trampeln gedachte.
Tragisch auch der Unfalltod seines 30-jährigen Sohnes, ein erfolgreicher Koch, der beim sportlichen Jumping in Zermatt verunglückte. Es gibt keine Antwort auf das, was ein Mensch zu erdulden hat. Es gibt auch keine Antwort darauf, was gerecht und was ungerecht ist. Ein Leben als Heimkind hat alle Schattenseiten in sich, ist von Grausamkeiten und Enttäuschungen geprägt, und wenn man es überlebt und man sich nicht das Leben nimmt, wie dies sein Freund Fred tat, der mit siebzehn Jahren durch die Folgen der fürsorglichen Zwangsmassnahmen im Erlenhof in Reinach den Freitod gewählt hat, in dem er sich im landwirtschaftlichen Gebäude erhängte, so bleibt vielleicht nur der Schmerz, aber auch die Erkenntnis, dass es einem einmal besser gehen muss.
René Schüpach engagiert sich heute für die Problematik der Heimkinder. Rückblickend am runden Tisch mit der Bundesrätin Sommaruga zusammen möchte sich der 80-jährige Kappeler nun für die Wiedergutmachung an Verdingkindern, Heimkindern und anderen Opfern einsetzen.
Er ist heute glücklich mit seiner Frau in seinem Haus in Kappel, er liebt den Garten, den Blick über das Land und weiss: Die Gegenwart ist alles, was wir haben. Die dunklen Schatten der Vergangenheit aus einem gelebten Leben holen einen immer wieder ein, aber das Gute und Schöne des Augenblicks ist wesentlicher. Mit seinem Buch, das er seinem verstorbenen Freund Fred gewidmet hat, rüttelt er wach und setzt bleibende Zeichen in eine Welt, die oft so vergesslich ist.