Obergericht
Er beharrt auf Unschuld - sie fordert Verurteilung wegen Vergewaltigung

Ahmet K.* wurde wegen sexueller Belästigung verurteilt. Doch das Opfer Yasemin G.* war damit nicht einverstanden und will eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung. Im Gerichtssaal sind zwei völlig verschiedene Versionen zu hören.

Simon Binz
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Der Angeklagte soll versucht haben, Yasemin G.* in ihrer Wohnung zu vergewaltigen. (Symbolbild)

Der Angeklagte soll versucht haben, Yasemin G.* in ihrer Wohnung zu vergewaltigen. (Symbolbild)

Oliver Menge

Als ihr Anwalt nochmals nachfragte, ob sie sich zu 100 Prozent sicher sei, dass der Beschuldigte sie ausziehen wollte, war es um Yasemin G.* endgültig geschehen.

Ein kleinlautes Ja brachte sie zwar noch über die Lippen, dann aber verwandelte sich das Schluchzen, das sich über die ganze Befragung hinzog, in einen Heulkrampf. Wieder und wieder bat sie deswegen das Gericht um Entschuldigung und sagte mit brüchiger Stimme: «Ich kann nicht mehr ...».

Schliesslich ging der Opferanwalt zu seiner Mandantin hin und legte seinen Arm um sie. «Gehen wir zu ihrer Schwester», sagte Kenad Melunovic und führte Yasemin G. aus dem Gerichtssaal. Anschliessend kehrte Ahmet K.* in den Gerichtssaal zurück und durfte zur Befragung von Yasemin G. Stellung nehmen.

Dabei beteuerte er, dass alles, was die junge Türkin gesagt hatte, falsch sei. «Ich hatte zu dieser Zeit bereits zwei kleine Kinder, meine Frau war schwanger, das ist doch unvorstellbar.»

Zwei Versionen des Ablaufs

April 2012. Yasemin G. hatte sich von ihrem Ehemann getrennt und zog in eine eigene Wohnung. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund hatte sie die Entscheidung getroffen, nun erstmals alleine zu leben.

Am Abend des Umzugs bat Yasemin G. die einen Stock tiefer wohnende kosovarische Familie K. um einen Schraubenzieher. Der damals 38-jährige Ahmet K. händigte Yasemin einen solchen aus und folgte ihr kurze Zeit später in die Wohnung, wo er seine Hilfe anbot.

Die beiden führten ein wenig Smalltalk und rauchten nach getaner Arbeit eine Zigarette. Dann verschloss Ahmet die Haustüre, packte Yasemin, fasste ihr an das Gesäss und die Brüste, versuchte, sie zu küssen, hob ihren Rock hoch und rieb sein erigiertes Glied an ihr.

Bevor er sie entkleiden konnte, schaffte es Yasemin sich zu befreien, öffnete die Tür und schrie um Hilfe. Darauf verliess Ahmet die Wohnung. Etwas später kam Yasemins Freund von der Arbeit und fand sie zitternd in einer Ecke vor, weshalb er Ahmet konfrontierte.

So lautet die Version der damals 25-jährigen Frau. Geht es nach Ahmet, lief die Situation aber komplett anders ab: So sollen sie sich nach der Zigarette mit einem oder zwei Backen-Küsschen verabschiedet haben.

Dabei berührte Ahmet Yasemins rechte Schulter, sie zuckte zurück, er entschuldigte sich, später ging dann ihr Freund auf ihn los.

Unabhängig davon, welche Version der Wahrheit entspricht: Yasemin und ihr Freund gingen zur Polizei.

«Ich wollte, dass er bestraft wird. Ich kann mir vorstellen, dass er das auch schon anderen Frauen angetan hatte», erklärte Yasemin G. am Mittwoch vor Obergericht ihre Beweggründe.

Per Strafbefehl wurde Ahmet K. darauf wegen sexueller Belästigung zu einer Busse und der Zahlung von Verfahrenskosten in der Höhe von insgesamt 800 Franken verurteilt. Yasemin legte Berufung ein.

Deswegen kam es am 16. Februar 2015 zu einer Anhörung vor dem Amtsgericht Olten-Gösgen. Am Urteil änderte sich zwar nichts, die Busse wurde aber auf 1000 Franken erhöht. Jetzt reichte Ahmet Berufung ein, am 20. März tat es ihm Yasemin G. gleich.

War es versuchte Vergewaltigung?

So landete der Fall schliesslich vor Obergericht, wo es zum Heulkrampf der Geschädigten, zur Stellungnahme des Beschuldigten sowie den nun folgenden Plädoyers kam.

«Spätestens als er ihr den Mund zuhielt, wusste er, dass sie das nicht wollte», begann Opferanwalt Kenad Melunovic seines.

Weiter meinte er, dass Yasemin G. ihm gegenüber zudem erwähnt hatte, dass der Beschuldigte versuchte, sie auszuziehen. Das sei der Grund gewesen, warum er heute nochmals nachgefragt habe. «Denn dies wurde weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Erstinstanz miteinbezogen, obwohl es aktenkundig war.»

Geht es nach Melunovic, dürfte es sich deshalb bei dem Vorfall um eine versuchte Vergewaltigung handeln. «Schliesslich hat er den ‹point of no return› in Bezug Geschlechtsverkehr überschritten.»

Der Anwalt forderte, Ahmet K. der sexuellen Nötigung, eventuell der versuchten Vergewaltigung sowie der Zahlung von Schadenersatz, Genugtuung, Anwaltskosten und Gerichtskosten von weit über 10 000 Franken zu verurteilen.

Verteidigerin Corinne Saner arbeitete sich durch die verschiedenen Einvernahmen von Yasemin G. und versuchte, dem Gericht Widersprüche aufzuzeigen. Diese fand sie bei der Art, wie Ahmet in die Wohnung gekommen sein soll, der Zigarettensituation sowie dem Smalltalk.

«Klar fragt man sich, warum so etwas zur Anzeige gebracht wird, wenn gar nichts passiert ist», fuhr sie dann fort und stellte gleich mögliche Versionen vor.

Unter anderem brachte sie den damaligen Freund und die «gemeinsame» Entscheidung, alleine zu wohnen, ins Spiel: «War der angebliche Vorfall für sie eine gute Gelegenheit, doch mit ihrem neuen Freund zusammenzuziehen?»

Schliesslich habe sie – vielleicht etwas voreilig – einen Mietvertrag mit einem einjährigen Kündigungsschutz abgeschlossen.

Die Verteidigerin forderte einen Freispruch, eine Genugtuung nach richterlichem Ermessen und eine Entschädigung. Das Urteil wird am Donnerstag erwartet.

*Namen von der Redaktion geändert