Olten
Einspringer erweist sich als Glücksbringer im Stadttheater

Anstelle der erkrankten Geigerin Patricia Kopatchinskaja übernimmt Sebastian Bohren kurzfristig – und landet im Stadttheater Olten einen Grosserfolg.

Elisabeth Feller
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Das Kammerorchester Basel mit Geiger Sebastian Bohren (Bildmitte) als Ersatz für die erkrankte Patricia Kopatchinskaja.

Das Kammerorchester Basel mit Geiger Sebastian Bohren (Bildmitte) als Ersatz für die erkrankte Patricia Kopatchinskaja.

Bruno Kissling

Die Musikinsel Rheinau ist eine Idylle, wo man ungestört proben kann. Doch hin und wieder ergreift die Realität Besitz von der Oase. Beispielsweise dann, wenn um 15 Uhr das Smartphone des Schweizer Geigers Sebastian Bohren klingelt. Ob er einspringen könne für die plötzlich erkrankte Solistin Patricia Kopatchinskaja? Wohlverstanden am selben Tag.

Nach kurzer Bedenkzeit macht sich Bohren auf den Weg – nach Olten, ins Stadttheater, wo das Konzert um 19.30 Uhr beginnen wird. Somit bleibt kaum Zeit, um mit dem Kammerorchester Basel und dem Dirigenten Heinz Holliger anstelle von Mozarts Violinkonzert Nr. 4 (mit Kopatchinskaja) Franz Schuberts Rondo in A-Dur zu proben. Aber, wird Bohren später auf dem Podium lächelnd bekennen: Einmal gemeinsam mit Heinz Holliger musizieren – das sei schon immer sein Lebensziel gewesen.

Gut entschädigt

Man mag zwar bedauern, dass Sofia Gubaidulinas «Die Leier des Orpheus» für Violine, Schlagzeug und Streichorchester nun entfällt, doch mit Bohrens Zugabe der Sarabande aus Bachs Partita Nr. 2 lässt sich der Verlust verschmerzen. Umstände halber wird das Konzert im längst ausverkauften Stadttheater fast zum reinen Schubert-Abend mit der Ouvertüre «Im italienischen Stil», dem erwähnten Rondo und der Sinfonie Nr. 4 c-Moll, «Tragische».

Diese Werke kontrastiert Holliger mit einer Eigenkomposition: «Meta arca» für Solovioline und 15 Streichinstrumente ist eine Hommage mit sieben charaktervollen, oft ironisch aufblitzenden und am Ende schneidend scharfen Stücken an die bis anhin tätigen Konzertmeister der Camerata Bern. Einer von ihnen war der 2017 verstorbene Thomas Füri, dessen Violine – eine Guadagnini – der 30-jährige Sebastian Bohren heute spielt. Welch ein zufälliger, aber schöner Bezug.

Mehr Gewicht

Bohrens Schubert-Interpretation gewinnt dadurch noch etwas mehr an Gewicht; vor allem, wenn man an die langsame, ausdrucksstarke Einleitung denkt. Sie ist das Eingangsportal zum Rondo-Satz, in dem zwei rhythmisch prägnante Motive einen Rundtanz von Ohrwurmqualität bilden. Bohren spielt das fern von jeglichem Einspringer-Lampenfieber, wunderbar gelöst und spielerisch-heiter.

Sein Ton leuchtet und strahlt facettenreich; er ist verführerisch, aber nie süsslich, geschweige denn glatt. Die Noblesse von Bohrens Spiel erweist sich vor allem in der Partnerschaft mit einem Dirigenten und einem Orchester, die auf jede noch so kleine Schattierung oder Temporückung des Solisten eingehen. Kurzum: Das ist ein Miteinander, das nicht zuletzt auch davon erzählt, wie eine (erhoffte) Fortsetzung klingen würde – aufregend.

Thema entfaltet Getriebenheit

Genauso ist auch Heinz Holligers Lesart von Schuberts 4. Symphonie, «Tragische». Schubert selbst hat seine Komposition in Moll so bezeichnet, doch mutet sie auch tragisch an? Eher energievoll, mitunter auch etwas pathetisch. Hört man aber den letzten Satz, ein Allegro, gewinnt man dem Zusatz manches ab. Denn da pulsen Unrast und ein suchendes Pochen hinein; das Thema entfaltet eine Getriebenheit, die ein Dirigent einmal als «todesnahe Fieberwirren» bezeichnet hat.

Das wirkt beklemmend, mitunter beängstigend, zumal Holliger die rhythmischen Finessen unmissverständlich modelliert und dem exzellenten, stets auf Durchsichtigkeit bedachten Kammerorchester Basel auch fahlere Klangfarben entlockt. Heinz Holliger und die Basler sind einander seit langem verbunden und dieses Miteinander manifestiert sich in einem glücklichen Musizieren, das zu Beginn mit der Ouvertüre «Im italienischen Stil» und am Ende mit der Sinfonie Nr. 4 den Schubert-Kosmos eindrücklich auslotet.