Amtsgericht Olten-Gösgen
«Ein bereits gestohlenes Velo kann nicht nochmal gestohlen werden»

Er stahl mehrere Fahrräder in der Region Olten und verkaufte sie an einem Velohändler und auf der Strasse. Ins Gefängnis muss er deshalb nicht.

Deborah Onnis
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Bei einigen Velos brach der 23-Jährige das Schloss mit einer Zange auf. Andere konnte er hingegen einfach mitnehmen, da sie unverschlossen waren.

Bei einigen Velos brach der 23-Jährige das Schloss mit einer Zange auf. Andere konnte er hingegen einfach mitnehmen, da sie unverschlossen waren.

Bruno Kissling

Handelt es sich um gewerbsmässigen Diebstahl oder nicht? Dies war die grosse Frage, die im Velodiebstahl-Fall vor Amtsgericht Olten-Gösgen bei der Urteilsverkündung am Freitagnachmittag endlich beantwortet wurde. Ein 23-Jähriger hatte zwischen Mai 2013 und Oktober 2013 in der Region Olten mehrere Fahrräder entwendet und sie teilweise an einen Velohändler oder auf der Strasse verkauft.

Die Antwort stand nun für das Amtsgericht fest: Nein. 625 Franken habe der Velodieb durch den Verkauf verdient. «Das sind rund 100 Franken im Monat. Da kann man nicht von gewerbsmässigem Diebstahl sprechen», sagte Amtsgerichtspräsident Pierino Orfei. Das hätte von ihm aus gesehen der Staatsanwaltschaft auch schon lange bewusst sein sollen.

Übertretung statt Diebstahl

Zudem seien unter den gestohlenen Velos einige darunter, die bereits gestohlen worden waren. «Und ein Velo, das bereits gestohlen wurde, kann nicht nochmal gestohlen werden», so Orfei. In jenen Fällen werde also der objektive Tatbestand des Diebstahls gar nicht erfüllt und deshalb werde der Angeklagte in den entsprechenden Punkten freigesprochen. «Allenfalls hätte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten dafür Übertretung vorwerfen können. Das hat sie aber nicht gemacht», sagte Orfei in strengem Ton an die Adresse von Staatsanwalt Pascal Flückiger, der als Stellvertreter des Stellvertreters fungierte.

Vollgeständnis und harte Kindheit
Nicht alle Velos waren aber bereits Gestohlene. Aus diesem Grund wurde der Angeklagte wegen mehrfachen Diebstahls und mehrfach versuchtem Diebstahl zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten oder 300 Tagessätzen verurteilt. Die objektive Tatschwere beurteilte das Amtsgericht dabei als mittelschwer. Der Angeklagte habe zwar gezielt gehandelt – bei den entwendeten Velos handelt es sich um teurere Modelle –, die Tat ereignete sich aber am helllichten Tag auf offener Strasse. Es scheine also eine geringe kriminelle Energie vorhanden zu sein.

Ein Gutachten hätte laut Orfei das Rückfallrisiko und die psychische Gesundheit des Angeklagten beurteilen sollen. «Im Bericht wird aber keine Diagnose gestellt. Er sagt praktisch nur aus, dass der Angeklagte psychisch krank und behandlungsbedürftig ist», so Orfei. Diese Erkrankung brachte der Amtsrichter mit der belastenden Kindheit des Angeklagten in Zusammenhang. Diesem Umstand und dem Vollgeständnis hat der Angeklagte eine Strafminderung zu verdanken. Wegen Kokain und Ecstasy-Konsum erhielt er aber eine Busse von 200 Franken.

Haftstrafe wird aufgeschoben
«Sie brauchen Hilfe. Das steht fest», so Orfei zum anwesenden Angeklagten. Eine stationäre Therapie, wie sie der Staatsanwaltschaft beantragt hatte, komme aber nicht infrage. «Diese wäre nicht verhältnismässig», so Orfei weizer. Dafür sprach er eine ambulante Therapie und Anspruch auf Bewährungshilfe aus. Durch diese Massnahme werde die Haftstrafe aufgeschoben. Die bereits abgesessene Zeit in der Untersuchungshaft und in der psychiatrischen Klinik kann dem Angeklagten angerechnet werden.

Neben der psychisch ambulanten und der medizinischen Therapie muss der 23-Jährige in ein betreutes Wohnheim. «Um wieder eine Tagesstruktur zu erhalten», so Orfei. «Damit Sie noch etwas aus Ihrem Leben machen können. Nutzen Sie diese Chance.» Der Angeklagte nickte.