Hans Derendinger war nicht nur 26 Jahre Oltner Stadtammann, sondern auch Autor, Musiker und Kulturvermittler – morgen Sonntag würde der Ehrenbürger der Stadt Olten 100 Jahre alt.
«Wenns im Herbscht Motione haglet, chunnts im Früelig cho wähle.» Mit dieser politischen Bauernregel schaffte es Hans Derendinger auf der Liste der Lieblingszitate bei Politikern sowie Journalisten und Kolumnisten weit nach vorne. Oltens Stadtammann von 1957 bis 1983 war beides: Politiker mit träfen Sprüchen und auch Beobachter von Politik und Gesellschaft. Sein freies und vorausschauendes Denken, sein enormes Wissen, sein sachliches Wesen und sein Blick fürs Wesentliche, sein gesunder Menschenverstand, seine Toleranz und sein facettenreiches kulturelles Wirken beeindruckten Mitbürgerinnen und Mitbürger und strahlten über Olten und den Kanton Solothurn hinaus. Gottlieb F. Höpli, von 1994 bis 2009 Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts», bezeichnete Hans Derendinger einst als einen der farbigsten Stapis, welche die Schweiz in der Nachkriegszeit vorzuweisen hatte. Derendinger, der am 29. November 1920 als ältestes von drei Geschwistern in Olten geboren wurde, würde morgen Sonntag 100 Jahre alt.
Obwohl er aus einer politischen Familie stammte – seine Mutter war die Schwester von Bundesrat Walther Stampfli –, war der Weg zum Oltner Stadtammann nicht unbedingt vorgespurt. Eigentlich hatte die Freisinnig-demokratische Partei auf seinen jüngeren Bruder Jürg Derendinger gesetzt. Doch nachdem dieser 1956 im Alter von 33 Jahren an Krebs verstorben war, wuchs der Druck auf Hans Derendinger, in dessen Fussstapfen zu treten. Der 37-jährige promovierte Jurist schaffte 1957 die Kampfwahl gegen den 15 Jahre älteren Sozialdemokraten Hermann Berger mit Bravour (2805 gegen 1619 Stimmen). «Doch eigentlich wollte er nicht Politiker werden», sagt Hans Brunner, der als Konservator des Historischen Museums in Olten 13 Jahre mit ihm zusammenarbeitete. Vor seiner Wahl ins Stadtpräsidium arbeitete er nach seinem Studium in Zürich zuerst als Anwalt und dann fünf Jahre als Redaktor beim «Oltner Tagblatt».
Einmal im Amt entpuppte sich Hans Derendinger als gründlicher Politiker, aber stets auch als Humanist. Die Strenge des neuen Stadtammanns liess viele Halbheiten nicht mehr durch. Architekturpläne wurden nicht mehr im Wirtshaus verhandelt. Seine Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit erwartete er auch von anderen. Stadthaus-Angestellte, die auch wegen der anfänglich noch dezentralen Verwaltung gerne mit zehn oder fünfzehn Minuten Verspätung am Arbeitsplatz eintrudelten, kanzelte er bei Bedarf ab. Hans Derendinger stellte das nahe, menschenbezogene Wirken in seiner Stadt über die Parteipolitik. Er habe das Zeug zum Regierungsrat oder Nationalrat gehabt, glaubte jedoch, dass sich die höhere Politik nicht zu Gunsten der Stadt auswirke, schildert Hans Brunner. Für die Freisinnigen sass er zumindest im Kantonsrat, dies von 1961 bis 1977.
Umso markanter waren die Spuren, die er in der Kleinstadt hinterliess. «Hans Derendinger gab der Stadt Olten ein Gesicht», bilanziert Hans Brunner. Unter ihm sei die Stadt nicht nur architektonisch gewachsen (siehe Box), sondern auch kulturell. Seine Kulturförderung hatte ihren Ursprung einerseits in seinen vielseitigen Begabungen, gründete aber auch im Bewusstsein, dass ein breites Kulturleben zu einer Stadt gehören muss. Schon in der Gymnasialzeit fiel Hans Derendinger durch sein Zeichentalent auf, das ihm in der Studentenverbindung Wengia den Namen «Stift» eintrug. Von seinen Karikaturen lebte auch eine Oltner Fasnachtszeitung, die als humorvoll und gescheit galt. Mit seinen Gedichten und Aphorismen, die auch in der Satirezeitschrift «Nebelspalter» erschienen, reihte er sich in die Tradition der Verseschmiede vom Jurasüdfuss ein.
Kulturvermittler Peter André Bloch, der als früherer Kantonsschullehrer Hans Derendinger auch als Inspektor kennenlernte, beschreibt dessen lyrische Art als feinsinnig humorvoll, (selbst)kritisch, ironisch und parodistisch. Seinerzeit brachte er Derendingers «Bauernregeln» als Schülertheater auf die Bühne der Kanti Olten. Obwohl die Verpflichtungen des Amtes sehr an der Ressource Zeit nagten, liess es sich Hans Derendinger nicht nehmen, im privaten Rahmen und im Stadtorchester Geige und Bratsche zu spielen. «An ihm ist ein Musiker verloren gegangen», sagt sein ältester Sohn Martin Derendinger, der als Zeichnungslehrer wie Schwester Marianne (Kindergärtnerin, Schauspielerin, Bildhauerin) und Bruder Ueli (Lehrer für Querflöte und Shakuhachi) von den musischen Genen des Vaters profitieren konnte. Mit Gedichten und Aphorismen machte er bis in die letzten Monate vor seinem Tod auf seine sprachlich feine und zeitkritische Feder aufmerksam. Für seine Leistung als Kulturförderer und Literat erhielt er 1971 den Kunstpreis des Kantons Solothurn und wurde 1984 zum Ehrenbürger der Stadt Olten ernannt.
Die Kulturförderung schlug sich in der Stadt bei zahlreichen Neubauten in der Kunst am Bau nieder. Unter der Ägide des Kunst- und Schallplattensammlers Derendinger brachte die Stadt die Museen voran, was ihm viel Freude entlockte, aber auch Kritik eintrug. Dabei war der Klassikfan und Theaterbesucher laut Hans Brunner gar nicht einseitig. Aus politischer Notwendigkeit zeigte er Einsicht, Kultur in ihrer Vielfalt zu fördern. Abgesehen von Skirennen interessierte ihn indes Sport wenig. «Hans Derendinger war absolut kein Sportler», erzählt Hans Brunner. An einem Eishockeymatch habe er keine Freude zeigen können; doch sei er überzeugt gewesen, dass auch ein solcher Anlass zu einem vielfältigen Gesicht der Stadt zwingend gehört.
Trotz oder wegen seines öffentlichen Amtes und seines gesellschaftlichen Engagements habe Hans Derendinger immer auch seine private Atmosphäre geschützt, meint Peter André Bloch. Dazu gehörte zuerst seine Frau Germaine, die er als Untermieter im Elternhaus Tatarinoff in Solothurn kennengelernt hatte. In der Familie suchte er Ruhe und Distanz. «Er trug den Beruf nicht in die Familie, wenn ihn nicht gerade ein Wutbürger-Telefon zu Hause erreichte», erinnert sich Martin Derendinger. Den Familienangehörigen blieb trotzdem nicht verborgen, dass ihm die Politik oft auf dem Magen lag und gesundheitlich ihren Tribut forderte. Noch vor dem 50. Lebensjahr kämpfte er mit Darmkrebs, der ihn in den Neunzigerjahren erneut einholte und am 13. November 1996 schliesslich zu seinem Tod führte. Ein längeres Leben als ihren Brüdern ist Schwester Rosmarie beschieden, die heute noch mit 93 Jahren in einer Aarauer Altersresidenz wohnt.