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Wer daheim Flüchtlinge aufnimmt, kann sich an der Praxis der zuständigen Sozialregion durchaus reiben. Das Beispiel der Familie Kleiner zeigts.
Zimperlich geht die Familie Kleiner mit den Mitarbeitenden der Sozialregion Untergäu SRU in Hägendorf beileibe nicht um. Zu sehr ist sie ums Wohl ihrer Gäste auf Zeit, einem Asylantenehepaar aus Syrien, besorgt. Grund ihrer Unzimperlichkeit: Kleiners zeigen sich erschrocken über den Umgang mit Flüchtlingen, der bei der SRU gepflegt wird. Eine dortige Mitarbeiterin bezeichnen sie einhellig und überraschend unverblümt als «einfach böse und fies.»
Johannes Kleiner sagt: «Sie findet grosse Befriedigung darin, ihre Macht auszuspielen, indem sie die beiden zum Beispiel ins Messer laufen lässt. Dadurch, dass sie ihnen keine Beratung zum Kauf der günstigsten Kombination von öV-Tickets bei Schulferien zukommen lässt und ihnen im Nachhinein den Betrag für zwei Wochen Schulferien ohne Kommentar von der Sozialhilfe abzieht.»
Vor solchem Hintergrund wundert nicht, dass Kleiners die letzten fünf, sechs Monate mit der SRU im Dauerclinch lagen. Ja, mehr als das. In einer Beschwerde Mitte Dezember hält das Gastgeberpaar der SRU gar verzögerte Integrationsbemühungen, die Verschleppung von Anträgen zur Behandlung von akuten Zahnschmerzen, praktizierte Willkür und einen befehlsmässigen Tonfall vor. «Man wird hier behandelt wie ein Laufbursche», fasst Maria Kleiner ihre Erfahrungen zusammen.
Starker Tobak also. Und was sagt die SRU? Es sei in diesem Fall wirklich nicht alles optimal gelaufen, räumt Leiter Michel Tschanz ein. Dennoch: Er distanziert sich von den Vorhalten der Gastgeberfamilie in aller Deutlichkeit. «Die Diskrepanz zwischen Erwartungen und den gesetzlichen Vorgaben ist in diesem Fall extrem gross», sagt Tschanz. Da seien Verwerfungen kaum zu vermeiden, deren Überbrückungen schier unmöglich. Tschanz macht keinen Hehl daraus, dass Kleiners fast ausschliesslich fordernd aufgetreten seien.
Den Vorhalt, eine seiner Mitarbeiterinnen sei «böse und fies», empfindet er allerdings als Affront. «Die betreffende, fachlich hoch qualifizierte und sehr erfahrene Mitarbeiterin tritt zwar bestimmt auf, das ist richtig. Aber Willkür ist nicht unser Business. Wir sind den gesetzlichen Vorgaben und Vorschriften verpflichtet und sehen zu, dass diese auch von unseren Klientinnen und Klienten eingehalten werden.» Und er reicht nach: «Die SRU ist nicht dazu da, der Klientschaft das Leben einzurichten.» Dafür gebe es auch keine personellen Ressourcen. «Wenn ich rechne, haben wir monatlich knapp anderthalb Stunden pro Asylsuchenden und Flüchtling zur Verfügung.»
Dabei hatte alles so schön begonnen. Als Maria und Johannes Kleiner im Juni vergangenen Jahres ein syrisches Flüchtlingsehepaar bei sich aufnehmen, da scheint die Welt, bei aller Unsicherheit, die diesem Vorhaben innewohnt, noch in Minne aufzugehen. Aber schon bald fühlt sich die Gastgeberfamilie vermeintlich alleine gelassen. Zu langatmig kommen ihr die Administrationswege bei der SRU vor. «Unsere Aufgabe besteht darin, das Flüchtlingsehepaar schneller zu integrieren», sagt Maria Kleiner.
Sie erwarte mehr Unterstützung und nicht administrative Hindernisse in den Weg gelegt zu bekommen. Eines der vielen grossen Ärgernisse: Nach Einschätzung der Gastgeberfamilie wurde den beiden Flüchtlingen, trotz mehrmaliger Nachfrage, eine Teilnahme am Deutschunterricht viel zu spät ermöglicht. «Sprache ist der Integrationsbeschleuniger Nummer 1», untermauert Maria Kleiner ihre hehre Absicht. Tschanz: «Eine frühzeitigere Teilnahme in einem Deutschunterricht war gar nicht möglich, weil fürs Jahr 2016 schlicht und einfach keine Plätze mehr frei waren.»
Sprachkursplätze liessen sich nicht herzaubern. Ende Oktober sei die Anmeldung für einen Intensivdeutschkurs erfolgt, sagt er und präsentiert entsprechende Papiere. Kleiners dagegen halten fest, dass ihnen aus Kreisen der SRU versichert wurde, das Paar sei bereits nach ihrem Einzug bei Kleiners für den Schulbesuch angemeldet worden.
Immerhin: Seit Anfang Januar besucht nun das Paar einen Sprachkurs. Also alles in Butter? Mitnichten. Es droht die nächste Verwerfung. Für Johannes Kleiner unbegreiflich, dass der syrischen Asylbewerberin ein Folgekurs ab Ende April verweigert wird. «Dem würd’ ich nicht so sagen», schiebt Tschanz ein. Die Teilnahme sei lediglich sistiert. Grund: «Es gibt körperliche Dispositionen bei Frau B.*, die vermuten lassen, ein bevorstehendes Ereignis könnte sie allenfalls überfordern. Zumal deren Historie darauf hindeutet.» Der Entscheid sei keineswegs Schikane oder Willkür, wie von Kleiners behauptet, sondern gängige Praxis der SRU und liege in deren Ermessen.
Dahinter steckt nebst diversen Überlegungen auch ein monetärer Gedanke. Denn: Auch wenn Frau B.* den Sprachkurs aus gesundheitlichen Gründen nicht vollständig absolvieren kann, so zahlt die öffentliche Hand den vollen Kurspreis. «Der eingesetzte Geldbetrag wäre somit teilweise verloren. Und das wollen wir mit unserem Entscheid verhindern», erklärt Tschanz. Kleiners tun sich schwer mit dieser Erklärung und halten fest: «Uns wurde gesagt, schwangeren Flüchtlingsfrauen würde grundsätzlich der Deutschunterricht verwehrt.»
Es scheint, als flögen den Kleiners die vermeintlichen Widerwärtigkeiten im Leben ihrer Gäste nur so zu. Was hatte Tschanz gemeint, als er sagte, es sei nicht alles optimal gelaufen? «Die SRU erfuhr enorm kurzfristig vom Umstand, dass ein Ehepaar im Untergäu via kantonalem Projekt ‹so-freiwillig-engagiert› ein Flüchtlingsehepaar zugeteilt erhielt. Hätten wir frühzeitig davon gewusst, wir hätten uns mit den Kleiners an einen Tisch gesetzt, die Regeln erklärt, die Abläufe erläutert.»
Seiner Ansicht nach wäre dann auch die Aufregung um die Zahnbehandlung des Flüchtlingsgatten ausgeblieben, der im August an akuten Zahnschmerzen litt, diese notfallmässig behandeln liess, in der Folge aber weitere Behandlungen angezeigt erschienen. Die Kleiners versuchten mehrfach, die Prozesse zu beschleunigen; vergeblich. So kamen sie zur Überzeugung, die SRU verschleppe die Angelegenheit bewusst. «Die Abläufe sind ganz klar geregelt», so Tschanz. «Gegen eine Akutbehandlung hat niemand etwas einzuwenden.» Was aber darüber hinausgehe, verlange nach dem ordentlichen Dienstweg.
«In aller Regel dauert der rund sechs Wochen», weiss der Leiter SRU. Zahnstatuserhebung (bei einem Zahnarzt freier Wahl), Rückmeldung an die SRU, diese reicht das Dossier weiter an den Vertrauenszahnarzt, der begutachtet die Erhebung, informiert darüber die SRU, diese wiederum den neutralen Zahnarzt über den Umfang der Kostengutsprache. Das Verfahren unterscheide sich nicht von jenem, welches ein Regelsozialhilfebezüger zu durchlaufen habe. «Es kann nicht sein, dass die Asylsozialhilfe privilegiert behandelt wird», so Tschanz.
Was den Kleiners im letzten Halbjahr ebenfalls sauer aufstiess: die Frage, ob die Flüchtlinge überhaupt sprachlich verstehen können, was man mit ihnen bespricht. «Die SRU-Verantwortliche für das syrische Flüchtlingspaar hinterfragt nicht, ob sie inhaltlich verstanden wurde», monieren Kleiners. «Haben die Flüchtlinge keine sprachlich unterstützende Person, gehen die Informationen ins Leere und Missverständnisse sind vorprogrammiert.»
Tschanz sagt, das sei tatsächlich eine grundsätzliche Schwierigkeit. Aber man habe noch immer den Rank gefunden. «Manchmal helfen ein paar Begriffe aus dem Englischen, oder dann die Zuhilfenahme von ‹Händen und Füssen›, wie man so schön sagt.» Erschwerend komme im aktuellen Fall hinzu, dass die Familie Kleiner den Zugang der Asylbetreuerin nur unter terminlicher Voranmeldung gewährt habe.» Kleiners kontern: «Solche Besuche im Projekt Gastfamilie waren auch nicht vorgesehen.»
Auf die von Kleiners eingereichte Beschwerde hat Tschanz Mitte Dezember mit einem Bestätigungsschreiben reagiert und darin eine Aussprache beziehungsweise eine Information in Aussicht gestellt. Aber: Es kam nie soweit. Ein weiterer Ärger für Kleiners. Tschanz bezeichnet seine Unterlassung heute als «bedauerlich», auch wenn er Gründe dafür nennt. Die fragliche Mitarbeiterin hatte familiär einen Todesfall und selber noch einen Unfall zu beklagen, war deswegen eine Zeit lang weg und als sich das Thema innerbetrieblich wieder ergab, stellte sich heraus, dass das syrische Flüchtlingspaar aufgrund ändernder Familienumstände bei Kleiners wohl auszieht.
Derzeit sucht die SRU eine neue Bleibe für das Paar. «Da sah ich eigentliche keine Veranlassung mehr, das klärende Gespräch zu suchen», sagt Tschanz. «Es gab grundsätzlich nie ein Gesprächsangebot der SRU», sagen die Gastgeber darauf. «Herr Tschanz hätte zehn Monate dafür Zeit gehabt.»
Inzwischen hat der Leiter SRU hinsichtlich der Erfahrungen aus dem «so-freiwillig-engagiert»-Projekt Konsequenzen gezogen und reagiert. Künftig werde die SRU keine weiteren Asylsuchenden mehr aus diesem Projekt betreuen, wenn sie nicht vorgängig und rechtzeitig kontaktiert, informiert und allenfalls mit potenziellen Gastfamilien klärende Gespräche führen kann, mahnt er die zuständigen Amtsstellen. «Es scheint mir wichtig, Gastgeberfamilien auf die gängige Praxis aufmerksam zu machen und auf die personellen Ressourcen der Sozialregion hinzuweisen», sagt Tschanz.
Und die Gastgeberfamilie? Für Kleiners wars eine interessante Erfahrung, wie sie sagen. Die Gastfamilie verhalte sich vorbildlich und sei hoch motiviert, die Sprache zu erlernen und sich im Schweizer Alltag einzufügen. «Wir waren an einer guten Zusammenarbeit mit der SRU interessiert. Leider gestaltete sich diese eher einseitig», so Maria Kleiner.
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