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Die Theater-Gruppe Karl's kühne Gassenschau gastiert mit «Sektor 1» bis im Herbst in Olten. Ein Blick hinter die Kulissen mit Regisseur Paul Weilenmann.
Karl’s kühne Gassenschau. Diese drei Worte stehen für Theater im Grossformat mit spektakulären Effekten und waghalsigen Stunts. Nach zwei erfolgreichen Saisons in Winterthur feierte das Stück «Sektor 1» nun seine Premiere in Olten. Paul Weilenmann, Regisseur der Produktion, begrüsst die «Schweiz am Wochenende» wohlgelaunt auf dem Südwest-Areal in Olten und führt uns auf einen exklusiven Rundgang hinter die Kulissen.
«Wir haben alles wieder von null aufgebaut. Als wir hierherkamen, gab es keine Wege, keinen Strom, kein Abwasser — nichts», erklärt Weilenmann mit einer Geste über das Gelände. «Man könnte meinen, wir machen ja nur ein Theaterstück, aber am Schluss isches ebe scho huere vill», sagt der Regisseur fast ein wenig verwundert ob der Grösse der eigenen Produktion.
Auch wenn die Windmaschinen, Flammenwerfer und weiteren technischen Spielereien vor sich hindösen, herrscht keineswegs Stillstand auf dem Areal. Aus Zelten und Containern laufen Leute ein und aus, Techniker/-innen sind emsig am Hämmern und am Bohren, und ein kleiner Bagger dreht auf dem Kiesweg seine Runden. Als ein Techniker mit dem Fahrrad vorbeifährt und zum Gruss freundlich mit der Glocke klingelt, wähnt man sich endgültig in einer Kleinstadt, deren Alltag sich einzig um das Theaterstück dreht.
«Sektor 1» spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die Menschheit wegen grosser Abfallberge unterzugehen droht. Die Lösung für das Problem: Der Müll wird eingesammelt und mittels Raketen in den Orbit hinaufgejagt. Damit es auch sauber bleibt, werden Umweltsünden hart bestraft. Wer hingegen brav Öko-Punkte sammelt, darf auf einen Urlaub in die Wohlfühloase «Sektor 1». Das friedliche Ferienresort mit grüner Wiese und Enten im Teich entpuppt sich aber schnell als Trugbild, denn in «Sektor 1» herrscht ebenfalls ein Regime. Als es zu allem Unheil auch noch Abfallsäcke vom Himmel regnet, bahnt sich ein Aufstand an.
Die Tour durch das Areal beginnt mit einem Blick in die Holz- und Töffliwerkstatt. Nebenan ist ein monströses Gefährt parkiert, das ohne weiteres in die apokalyptische Filmreihe «Mad Max» passen würde. Über die Bühne und den Kunstrasen der Wohlfühloase «Sektor 1» geht es weiter unter die Erde. Eine steile Stahltreppe führt in das Herz der unteren Bühne hinab – die «Wundertüte», wie sie die Gassenschau-Crew nennt.
Wer die vorherigen Produktionen der Karl’s kennt, der weiss, dass im Untergrund ihrer Bühnenbilder so manch eine Überraschung schlummert. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, schliesslich wollen wir den Zuschauern nicht den ganzen Spass verderben. Nun gut, vielleicht ein Detail: Paul Weilenmann zeigt uns drei Geräte, die wie eiserne Telefonkabinen mit kleinem Guckloch aussehen. Das seien «Personenschleudern», erläutert der Regisseur. Die Schauspieler stehen dabei auf einer Platte und werden mittels Druckluft in die Luft gespickt. Bei Karl’s kühne Gassenschau scheint der Kindheitstraum vom Fliegen in Erfüllung zu gehen.
Die Verantwortung für die gesamte technische und materielle Umsetzung tragen Markus Heller und Otmar Faschian. Ihre Abteilung muss nicht nur über technisches Know-how verfügen, sondern auch ein Fingerspitzengefühl für das Theatralische haben. «Es reicht nicht, dass die Mechanik funktioniert. Es muss auch noch gut aussehen», so Weilenmann. Er muss es wissen, denn Weilenmann ist von Beginn an dabei, als die kühnen Karl’s noch wortwörtlich in den Gassen spielten.
Der ausgebildete Primarlehrer entdeckte seine Leidenschaft für das Varieté vor über dreissig Jahren an einem Kurs der Pantomimenschule Ilg in Zürich. An der Schule hat Weilenmann die restlichen Gründungsmitglieder der Gassenschau kennen gelernt: Brigitt Maag (Künstlerische Leitung), Markus Heller (Technische Gesamtleitung) und Ernesto Graf (Botschafter).
Ab 1984 tingelten die Artisten als Karl’s kühne Gassenschau über den Sommer von Stadt zu Stadt. Als Bühne diente ihnen die Strasse. «Wir lebten von den Hutsammlungen und hatten ein einziges Stromkabel für unsere Show. Heute haben wir die Strominfrastruktur eines kleinen Dorfes», fasst Weilenmann die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte zusammen.
Auch wenn die Gassenschau mittlerweile vor einer Grossbühne mit 1400 Plätzen spielt, ist sie sich über die Jahre treu geblieben und hat stets kritische Themen aufgegriffen. Nach der Überalterung der Gesellschaft («Silo 8») und der globalisierten Wirtschaft («Fabrikk») knöpfen sich die Karl’s in «Sektor 1» die Umweltverschmutzung vor. «Das Aufgreifen von zeitkritischen Themen war uns immer wichtig. Wir wollen uns aber nicht anmassen, die Zuschauer mit dem Moralfinger zu belehren», sagt Weilenmann. Wenn die Leute sich unterhalten fühlen und sich im Nachhinein ein paar Fragen stellen, dann hätten sie ihr Ziel erreicht.
Seit den Anfängen hat sich Weilenmanns Position von der Bühne in den Hintergrund verlagert, und mit Brigitt Maag ist er heute für die Regie und Dramaturgie der Produktionen verantwortlich. Wie sieht seine Zukunft innerhalb der Gassenschau aus? «Ich werde dieses Jahr sechzig und muss langsam den Übergang planen. Ein Enddatum sehe ich aber noch nicht. Ich besitze eine Schauspielerseele und spiele auch bei ‹Sektor 1› immer noch mit», sagt er lachend. Das ist nicht verwunderlich, denn wer würde schon auf das Fliegen verzichten?