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Wie auch die Frauen trotz Haus- und Fabrikarbeit Anfang des 20. Jahrhunderts auf politischer Ebene für ein besseres Leben kämpften.
«Du lieber Himmel! Erst der Zwanzigste und die vorletzte Brotkarte ist schon halb verbraucht und dazu ein Schärlein Kinder, die für Brotkartennöte kein Verständnis haben, sondern nur für das Knurren ihrer allzeit hungrigen Magen! [...] Mich wundert nur, wie lange die Schafsgeduld noch anhält und was dann wird, wenn sie einmal bricht.»
Zeit: 16. August bis 23. September, werktags 20 Uhr, sonntags 17 Uhr.
Ort: Alte SBB-Hauptwerkstätte, Gösgerstrasse 52, Olten.
Preis: Erwachsene ab 18 Jahren 48 Franken, Kinder, Studierende, Lernende 38 Franken.
Weitere Infos unter www.1918.ch.
Diese Zeilen waren im April 1918 in der «Neuen Freien Zeitung», dem Parteiorgan der Solothurner Sozialdemokraten, zu lesen. Ob sie von einer Frau stammten oder von einem Mann, wissen wir nicht. Bekannt aber ist, wer die Not der Kriegsjahre am direktesten zu spüren bekam: die Arbeiterfrauen und ihre Kinder.
Im Sommer 1911 hatten sich unter der Ägide der Arbeiterunion eine Anzahl von Frauen zum «Arbeiterfrauenverein Olten» zusammengeschlossen. Die meisten von ihnen waren Ehefrauen oder Töchter von Genossen der Oltner Ortspartei, Gründungspräsidentin war Dina Schmid von Hayn, die Ehefrau von Jacques Schmid, einer der Schlüsselfiguren der Sozialdemokratie in der Stadt und im Kanton.
Ähnlich wie der ein paar Jahre zuvor gegründete bürgerliche «Verband für Frauenbestrebungen» forderten die linken Frauen die politische Gleichstellung, darüber hinaus aber wollten sie sich an der Seite ihrer Ehemänner und Väter am «Befreiungskampf der Arbeiterklasse» beteiligen.
Nach dem ersten Jahresbericht zählte der Verein über 60 Mitglieder. Die alle zwei Wochen stattfindenden Versammlungen dienten neben den Vereinsgeschäften dem gemeinsamen Singen, Lesen, der Handarbeit und der Diskussion. Die Frauen hörten sich Vorträge an über die Stellung der Frau im wirtschaftlichen und politischen Kampf, über Teuerung oder über die Frage des Impfzwangs.
Da die Protokolle des Arbeiterfrauenvereins verloren gingen, wissen wir nur wenig darüber, womit sich die Mitglieder sonst noch beschäftigten. Da die Lebensmittelversorgung in Olten dank der Massnahmen der städtischen Fürsorgekommission und der Selbsthilfe der Arbeiterschaft besser war als anderswo, blieben Marktdemonstrationen, wie sie im Juli 1916 in Bern, Biel, Grenchen, Thun und Zürich stattfanden, in Olten aus.
Als aber die Motorwagenfabrik Berna im Streit mit dem Metallarbeiterverband die gewerkschaftliche Sperre durch die Einstellung weiblicher Arbeitskräfte zu umgehen versuchte, protestierten die SP-Frauen energisch gegen die in ihren Augen missbräuchliche Verwendung von Frauen als «billiges Ausbeutungsmaterial».
Im Zuge der Verschärfung des sozialen Klimas erhielten die Arbeiterfrauen weiteren Zulauf, bald entstanden analoge Organisationen auch in Solothurn, Grenchen und in zahlreichen Dörfern des Leberbergs und des Wasseramts. Unter dem Einfluss von Vertretern der Parteilinken (Rosa Bloch, Anny Klawa-Morf, Willi Münzenberg, Fritz Platten), die an ihren Veranstaltungen immer wieder auftraten, scheinen sich auch die Frauenorganisationen, ähnlich wie die Jungburschen, radikalisiert zu haben.
Dies kam jeweils anlässlich der Veranstaltungen zum jährlichen Internationalen Frauentag – wenn auch vor allem rhetorisch – zum Ausdruck. In einem Bericht vom 3. Mai 1915 heisst es: «Aus dem leeren Kochtopf erkennt die denkende Arbeiterfrau die Hohlheit der politischen Phrasen unserer hohen Herren, und in den Lumpen, in die sie ihre Kinder kleiden muss, erkennt sie die Lumperei der herrschenden Ordnung.»
Dementsprechend bekannten sich die SP-Frauen im Herbst 1915 vorbehaltlos zu den Beschlüssen der internationalen Konferenz von Zimmerwald BE, durch welche die Sozialdemokraten die Zusammenarbeit mit den Behörden aufkündigten.
Im März 1917 nahm Zina Lilina, die Frau von Lenins Weggefährten Grigorij Zinov’ev, am Oltner Frauentag teil. In der «Neuen Freien Zeitung» war ein Artikel von ihr zu lesen, in welchem sie ihr im Promarchos-Verlag Bern-Belp erschienenes Buch «Die Soldaten des Hinterlandes. Frauenarbeit während des Krieges und nach dem Krieg» zusammenfasste.
Es ist nicht ganz einfach, die Namen der Frauen herauszufinden, die sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs, trotz ihrer mehrfachen Belastung durch Haus- und Fabrikarbeit, politisch engagierten. Da ihnen die politischen Rechte vorenthalten waren, konnten sie auch keine politischen Ämter übernehmen.
Während wir zahlreiche Mitglieder des bürgerlichen «Verbandes für Frauenbestrebungen» mit vollem Namen kennen, werden die Arbeiterfrauen selbst in den Mitgliederverzeichnissen der sozialdemokratischen Partei ohne Vornamen aufgeführt. Nach intensiver Suche gelang es jedoch, einige wenige von ihnen zu identifizieren und ein paar konkrete Abgaben über ihr ausserhäusliches Wirken zusammenzutragen.
Katharina Imbach
Katharina Imbach wurde am 17. März 1868 als ältestes von 14 Kindern eines Kleinbauern in luzernischen Altbüron geboren. Im Alter von 13 Jahren wurde sie als Kindermädchen bei einer Bauernfamilie im Nachbardorf verdingt. Danach diente sie als «Gütermädchen» (Hausangestellte) in Wauwil und danach als Magd in Fischbach.
1884 trat sie als Dienstmädchen beim Oltner Spitalarzt Eugen Munzinger ein, später arbeitete sie als Serviertochter im Kurhaus Frohburg. 1890 heiratete sie den aus der Gegend von Bonn stammenden Gärtner Heinrich Arenz, mit welchem sie ein eigenes Geschäft aufbaute. Daneben betrieb sie ein privates Stellenvermittlungsbüro. Da sie keine eigenen Kinder hatte, nahm sie eine Pflegetochter bei sich auf. Trotz ihrer minimalen Schulbildung las sie sich autodidaktisch in die sozialistische Literatur ein und gründete 1911 zusammen mit einer Gruppe anderer aktiver Frauen den sozialdemokratischen Oltner Arbeiterfrauenverein.
Hier trat sie immer wieder als Referentin und Kämpferin für die Rechte der Frauen in Erscheinung und beteiligte sich als engagierte Votantin an den jährlichen Frauentagen. Nach dem Tod ihres Gatten heiratete sie 1921 den Spengler Jakob Muff. 1923 gründete sie den Proletarischen Frauenbund des Kantons Solothurn, den sie 1930 bis 1939 präsidierte. Von 1927 bis 1937 gehörte sie ausserdem dem Zentralvorstand der Frauengruppe der SP Schweiz an. Sie starb am 14. November 1951 in ihrem Häuschen am Hausmattrain in Olten.
Elise Möckli-Stauffer
Elise Möckli-Stauffer (geb. 1860) hatte von 1899 bis 1905 zusammen mit ihrem Mann im Saal des Restaurants «Jakobsbrunnen» an der Aarauerstrasse ein Kleintheater betrieben, wo volkstümlich-patriotische Stücke aufgeführt wurden. 1916 bis 1917 wirkte sie als Präsidentin des Arbeiterfrauenvereins. Im Sommer 1918 übernahm sie für ein Jahr den Restaurationsbetrieb im «Volkshaus» an der Mühlegasse, wo ein halbes Jahr zuvor das legendäre «Oltener Aktionskomitee» gegründet worden war.
Maria Anna Soland-Scheidegger
Maria Anna Soland-Scheidegger (1882-1958), deren Mann auf einer Fotografie von 17 nach dem Landesstreik inhaftierten Eisenbahnern zu sehen ist, hielt am 3. September 1916 im «Volkshaus» vor der Mädchengruppe der sozialistischen Jugendorganisation einen Vortrag zum Thema «Die Stellung der Frau im bürgerlichen Staat».
Julie Amande Leu-Schweizer
Julie Amande Leu-Schweizer (1978-1955) setzte sich im Mai 1917 für eine engere Zusammenarbeit der SP-Frauen mit den Jungsozialisten ein – ein Hinweis darauf, dass die Arbeiterfrauen eher zum linken Flügel der Oltner SP zählten.
Anna Disteli-Wüthrich
Einen wesentlichen Beitrag zur Pflege des Partei-Nachwuchses leistete auch Anna Disteli-Wüthrich (*1861), die Frau des Vizepräsidenten der kantonalen SP, welcher die Organisation der sozialdemokratischen Sonntagsschule und die Betreuung der Kindergruppen an den 1. Mai-Umzügen oblag.
Haben sich die Oltner SP-Frauen am Landesstreik 1918 direkt beteiligt? Leider wissen wir über die Rolle der Sozialdemokratinnen während der Novembertage 1918 nichts Sicheres. Während die Blockade von Geleisen durch Frauen an anderen Orten nachgewiesen ist, lässt sich die Behauptung des Oltner Lokalhistorikers Adolf Merz aus den 1960er Jahren, eine Anzahl Frauen hätten unter Anführung eines sozialistischen Pfarrers die Geleise des Bahnhofs Olten besetzt, nicht belegen.
Und die Anekdote, Rosa Luxemburg sei mit einer Hundertschaft von Demonstrierenden vor den Toren der Automobilfabrik «Berna» aufmarschiert, verdanken wir den Lebenserinnerungen des einstigen Berna-Direktors Ernst Marti, der die deutsch-polnische Revolutionärin wahrscheinlich mit der Schweizerin Rosa Bloch-Bollag verwechselte, die mehrmals an Versammlungen der Solothurner SP-Frauen aufgetreten war.
Von einer aktiven Beteiligung von Frauen an den Ereignissen vom 9. bis 14. November 1918 ist weder im Bericht des Ammannamtes über die Streiktage noch in den Polizeirapporten oder in der Tagespresse die Rede.